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'Chain of Being'

Charakterisierung der Seelenteile bei Aristoteles  

1. Vegetative Seele Aristoteles führt in De anima aus, daß bei der Bestimmung der (drei) Seelenteile weitere Unterteilungen vorgenommen werden müssen. Er unterscheidet zwei Leistungen der vegetativen Seele (= ernährende Seele): Ernährung und Wachstum einerseits sowie Zeu­gung und Fortpflanzung andererseits. Es heißt:   "Also ist zu­erst über Ernährung und Fortpflanzung zu sprechen. Denn die er­nährende Seele findet sich auch bei den anderen und sie ist die erste und allgemeinste Fähigkeit der Seele und Grundlage des Lebens für alle. Ihre Leistungen sind Fortpflanzung und die Nahrung gebrauchen. Denn dies ist die naturgemäßeste Leistung für die Lebewesen ...: nämlich ein anderes hervorzubringen wie sie selbst, das Tier ein Tier, die Pflanze eine Pflanze, damit sie, soweit sie es vermögen, am Ewigen und am Göttlichen teilhaben". (De an. II 4, 415 a-415 b)  
Weiter:   "Es (das Lebewesen) dauert nicht als es selbst, sondern wie es selbst, nicht der Zahl, wohl aber der Art nach eines". (De an. II 4, 415 b)   Nicht das einzelne (und vergängliche) Lebewesen wird erhalten, sondern die Art, die für Aristoteles etwas Beständiges ist.  

2. Sensitive Seele Was Tiere und Pflanzen unterscheidet, ist das Wahr­nehmungsvermögen der sensitiven Seele bei den Tieren. Aristoteles macht deutlich, daß das Fehlen der Wahrnehmung bei den Pflanzen nicht primär durch das Fehlen von Sinnesorganen (Organe für das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken oder Tasten) bedingt ist, sondern durch das Fehlen eines Mittleren.
Er schreibt:   "Ebenso wird klar, weshalb die Pflanzen nicht wahrnehmen, obschon sie eine Teilseele besit­zen ... Ursache ist, daß sie kein Mittleres haben und kein Prinzip, das fähig ist, die Formen der Wahrnehmungs­gegenstände aufzunehmen". (De an. II 12, 424 a-424 b)   Das Mittlere ist für Aristoteles nicht bloß ein körperliches Zentrum, sondern ein seeli­sches. Dieses Zentrum, das die Formen der Wahrnehmungs­gegenstände aufzu­nehmen vermag, würden wir heute als Zentralnervensystem bezeichnen. Von einem der menschlichen Erfahrung zugänglichen Phänomen, daß Tiere im Gegensatz zu Pflanzen die Fähigkeit haben, "die Formen der Wahrnehmungsgegen­stände aufzunehmen", schließt Aristoteles auf ein bei Tieren vor­handenes und als sensitive Seele bezeichnetes unsichtbares Prinzip.  

3. Geistseele
Was den Menschen vor allen anderen Lebewesen auszeich­net, ist nach Aristoteles die Geistseele. Der Geist, von dem diese Seele ihren Namen hat, wird von ihm in zwei Kategorien unterteilt.   "Es gibt also Geist von solcher Art, daß er alles wird, und wiederum einen von solcher, daß er alles be­wirkt als ein besonde­res Verhalten, wie etwa das Licht. Denn auf eine gewisse Weise macht auch das Licht die der Möglichkeit nach vorhandenen Farben zu wirklichen Farben. Dies ist der abgetrennte Geist, der lei­denslos ist und unvermischt und seinem Wesen nach Wirklichkeit" ... "Aber erst, wenn er (der Geist) abgetrennt ist, ist er das, was er wirklich ist, und nur dieses ist unsterblich und ewig. Wir erinnern uns aber nicht daran; denn der eine Teil ist wohl lei­denslos, der leidensfähige Geist aber ist vergäng­lich, und ohne diesen gibt es kein Denken". (De an. III 5, 430 a)  
An anderer Stelle liest man,   "daß der (leidensfähige) Geist der Mög­lichkeit nach die denkbaren Dinge sei, aber der Wirklichkeit nach keines, bevor er denkt. Dies muß so sein wie auf einer Schreib­tafel, auf der faktisch noch nichts geschrieben ist. Das­selbe gilt für den Geist". (De an. III 4, 429 b)   Aristoteles ist so zu verstehen, daß der leidensfähige Geist mit der Geistseele gleichzusetzen ist. Wie die anderen Seelenteile auch, ist die Geistseele an den Körper gebunden und damit vergänglich. Bevor der (neugeborene) Mensch mit dem Denken beginnt, ist die Geistseele leer - wie eine unbeschriebene Schreibtafel (tabula rasa). Die Geistseele wird deshalb denkend und vernünftig, weil in sie "von außen" der (abgetrennte) Geist "einbricht". (De generatione animalium, II 33 - 36, 736a,b)
Die Geistseele und der abgetrennte Geist sind für Aristoteles das, was den Menschen vom Tier unterscheidet.  
"Nun ist der Mensch unter allen tierischen Wesen allein im Besitz der Sprache, während die Stimme, das Organ für Äußerungen von Lust und Unlust, auch den Tieren eigen ist". (De re publica I 1, 2, 1252a - 1253a)  

Zitate aus Aristoteles, De anima, üs. und hrsg. v. O. Gigon, Aristoteles: Vom Himmel. Von der Seele. Von der Dichtkunst, Zürich 1950. Gekürzt nach Stefan Bleecken, in: Tabvla rasa, JENENSER ZEITSCHRIFT FÜR
KRITISCHES DENKEN 28 (2007).   Neuer Absatz

David Hume Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes (An Enquiry Concerning Human Understanding) (1748)

Abteilung IX.
 
Über die Vernunft der Tiere.    

Alles Schliessen in Bezug auf Tatsachen stützt sich auf eine Ähnlichkeit, die uns bestimmt, von einer Ursache denselben Erfolg zu erwarten, den man aus ähnlichen Ursachen hat hervorgehen sehen. Ist die Ähnlichkeit vollständig, so ist die Analogie vollkommen, und die darauf gestützte Folgerung gilt als sicher und beweisend.      Niemand zweifelt bei dem Anblick eines Stück Eisens, dass es schwer und fest sein werde, gerade wie andere Stücke, die ihm früher vorgekommen sind. Haben die Gegenstände aber keine volle Gleichheit, so ist die Analogie weniger vollkommen, und der Schluss weniger überzeugend, obgleich er einige Kraft nach Verhältniss der Ähnlichkeit und Übereinstimmung behält. Die anatomischen Beobachtungen, die man bei einem Tiere macht, werden durch diese Art der Begründung auf alle ausgedehnt, und wenn z.B. der Blutumlauf bei einem Geschöpf voll erwiesen ist, wie bei dem Frosch oder Fisch, so ergibt dies eine starke Vermutung, dass dieser Blutumlauf überall Statt habe. Diese Schlüsse der Analogie kann man weiter, selbst bis zu der hier behandelten Wissenschaft ausdehnen und jede Lehre, welche die Vorgänge innerhalb des Denkens oder den Ursprung und die Verbindung der Gefühle beim Menschen erklärt, wird in ihrer Gültigkeit steigen, wenn sich ergibt, dass nur diese Lehre dieselben Erscheinungen auch bei andern lebenden Geschöpfen erklärt. Wir wollen eine solche Probe mit der Hypothese machen, durch welche im Vorgehenden die Erklärung aller Erfahrungsschlüsse versucht worden ist. Hoffentlich dient dieser neue Gesichtspunkt zur Bestätigung der frühern Ausführung.     

Erstens scheint es ausgemacht, dass die Tiere so gut wie die Menschen von der Erfahrung lernen und von ihr annehmen, dass dieselben Wirkungen immer denselben Ursachen folgen. Durch diese Regel werden sie mit den nächsten Eigenschaften der äussern Gegenstände bekannt und sammeln allmählich von ihrer Geburt an einen Schatz von Kenntnissen über die Natur des Feuers, des Wassers, der Erde, der Steine, der Höhen, der Tiefen u.s.w., so wie über die Wirkungen, welche daraus hervorgehen. Die Unwissenheit und Unerfahrenheit der Jungen kann man leicht gegen die Vorsicht und Klugheit der Alten unterscheiden, die durch lange Beobachtung gelernt haben, das Schädliche zu vermeiden und das Angenehme und Nützliche zu suchen. Ein an das Freie gewöhntes Pferd wird mit der bestimmten Höhe bekannt, die es überspringen kann und wird nichts versuchen, was seine Kraft und Fähigkeit übersteigt. Ein alter Windhund wird den anstrengendsten Teil der Jagd dem jungem überlassen und sich selbst so stellen, dass er auf den Hasen bei dessen Schwenkung trifft; seine Voraussetzungen bei solchen Gelegenheiten stützen sich lediglich auf seine Beobachtung und Erfahrung.     
Dies erhellt noch deutlicher aus den Wirkungen der Zucht und Erziehung der Tiere, welche durch die passende Anwendung von Belehrungen und Strafen zuletzt eine Reihe von Handlungen lernen, welche ihrem natürlichen Instinkt und Neigung geradezu zuwider sind. Ist es nicht die Erfahrung, weshalb ein Hund Schmerz fürchtet, wenn man ihm droht oder die Peitsche zum Schlag erhebt? Ist es nicht die Erfahrung, welche ihn auf seinen Namensruf antworten und schliessen lässt, dass man mit einem solchen willkürlichen Laut eher ihn als seinen Kameraden meine, und das man ihn rufen wolle, wenn man diesen Laut in einer gewissen Weise und mit einem bestimmten Tone und Accent ausspricht?     
In all diesen Fällen folgert das Tier offenbar eine Tatsache über das hinaus, was seine Sinne trifft, und diese Folgerung stützt sich nur auf frühere Erfahrung, indem das Tier von demselben Gegenstand dieselben Folgen erwartet, die es bei seinen Beobachtungen aus ähnlichen Gegenständen früher hat hervorgehen sehen.

Zweitens: Unmöglich kann diese Folgerung des Tieres sich auf einen Beweisgrund und einen Vorgang Innerhalb der Vernunft gründen, wodurch es schlösse, dass gleiche Folgen sich mit gleichen Gegenständen verbinden, und dass die Natur in ihren Vorgängen immer regelmässig sei. Denn wenn wirklich Beweisgründe dieser Art bestehen sollten, so liegen sie doch für die Beobachtung und für einen so schwachen Verstand zu versteckt; nur die äusserste Sorgfalt und Aufmerksamkeit eines philosophischen Geistes kann sie entdecken und bemerken. Die Tiere werden deshalb bei diesen Folgerungen nicht durch Vernunftgründe geleitet, so wenig wie die Kinder und die meisten Menschen; bei ihren gewöhnlichen Handlungen und Folgerungen, ja selbst die Philosophen nicht, welche für den tätigen Teil des Lebens sich in der Hauptsache von der Menge nicht unterscheiden und nach gleichen Regeln verfahren. Die Natur musste für ein breiteres, allgemeiner anwendbares und nutzbares Prinzip sorgen, und ein Verfahren von so ungeheurer Wichtigkeit für das Leben konnte nicht den unsichern Folgerungen aus Gründen und Beweismitteln anvertraut werden. Sollte dies bei dem Menschen noch zweifelhaft sein, so ist es doch bei der unvernünftigen Schöpfung unfraglich, und wenn dieser Satz in dem einen Falle vollständig gelten muss, so hat man nach den Regeln der Analogie allen Grund, zur Annahme, dass er allgemein und ohne Ausnahme und Vorbehalt gelte. Nur die Gewohnheit ist es, welche die Tiere veranlasst, bei jedem wahrgenommenen Gegenstande dessen gewöhnlichen Begleiter zu erwarten; diese führt ihr Vorstellen bei dem Auftreten des Einen zur Vorstellung des Andern in der besondern Weise, welche ich Glauben nenne. Keine andere Erklärung ist von diesem Vorgange möglich, und dieses gilt sowohl für die hohen, wie niedern Klassen der lebendigen Wesen, so weit wir sie kennen und beobachten.A7 Obgleich indess die Tiere einen grossen Teil ihres Wissens durch Erfahrung erlangen, so verdanken sie doch einen andern Teil der ursprünglichen Verleihung der Natur. Er ist der, welcher den Grad ihrer Fähigkeiten für gewöhnliche Fälle übersteigt, und wo die längste Übung und Erfahrung sie wenig oder gar nicht weiter bringt. Man nennt diesen Teil Instinkt und bewundert ihn als etwas Ausserordentliches, was durch keine Untersuchung unseres Verstandes erklärt werden kann. Indess wird diese Bewunderung vielleicht aufhören oder sich vermindern, wenn man bedenkt, dass das Folgern aus Erfahrung, was wir mit den Tieren gemein haben, und von welchem alles Verhalten im Leben abhängt, nur eine Art von Instinkt oder mechanischer Kraft ist, welche in uns, und zwar uns selbst unbewusst, tätig ist und in seiner Hauptwirksamkeit nicht durch solche Beziehungen und Vergleichungen der Begriffe geleitet wird, welche den eigentlichen Gegenstand unserer geistigen Fähigkeiten ausmachen. Die Instinkte sind vielleicht verschieden; aber es ist ein Instinkt, welcher den Menschen heisst, das Feuer zu meiden, wie es ein Instinkt ist, welcher dem Vogel die richtige Art des Brütens und die Einrichtung und Ordnung in Aufziehung seiner Jungen zeigt. A7 Wenn alles Folgern von Tatsachen oder Ursachen sich nur auf Gewohnheit stützt, so entsteht die Frage, weshalb die Menschen die Tiere im Begründen so übertreffen, und weshalb ein Mensch hierin den andern übertrifft? Die gleiche Gewohnheit müsste doch den gleichen Einfluss auf Alle haben!Ich will hier kurz den grossen Unterschied in dem Verstande der einzelnen Menschen erklären; daraus ergibt sich dann leicht der Grund für denselben Unterschied zwischen Menschen und Tieren.

1. Wenn man einige Zeit gelebt und sich an die Gleichförmigkeit der Natur gewöhnt hat, so neigt man dann allgemein dazu, das Bekannte auf das Unbekannte zu übertragen und letzteres als dem erstern gleich vorauszusetzen. Vermittelst dieser allgemeinen Neigung genügt schon ein Experiment für die Folgerung, und man erwartet mit grosser Gewissheit den gleichen Erfolg, wenn der Versuch genau und frei von allen ungehörigen Nebenumständen vorgenommen worden ist. Die Beobachtung der Folgen der Dinge istdeshalb eine Sache von grosser Wichtigkeit, und da ein Mensch den andern in Aufmerksamkeit, Gedächtniss und Beobachtung übertrifft, so macht dies für ihre Folgerungen einen grossen Unterschied.
2
. Wenn mehrere Ursachen zur Hervorbringung einer Wirkung zusammenwirken, so ist ein Verstand umfassender als der andere und fähiger, den ganzen Zusammenhang der Gegenstände zu begreifen und ihre Folgen richtig abzuleiten.
3. Einer kann die Kette der Schlüsse weiter ziehen als der Andere.
4. Wenige Menschen können lange denken, ohne die Vorstellungen zu verwirren und zu verwechseln, und diese Schwäche hat ihre verschiedenen Grade.
5. Der Umstand, von dem die Wirkung abhängt, ist oft in andern, anscheinend fremden und äusserlichen Umständen verhüllt; seine Trennung erfordert oft grosse Genauigkeit, Aufmerksamkeit und Scharfsinn.
6. Einzelne Beobachtungen gleich zu allgemeinen Regeln zu erheben, ist ein angenehmes Geschäft, und es ist sehr häufig, dass man aus Hast oder Geistesbeschränktheit die Sache nicht allseitig betrachtet und deshalb in Missgriffe gerät.
7. Wenn die Analogie bei den Folgerungen benutzt wird, so ist der im Vorteil, der das Meiste erfahren hat oder am geschicktesten in Auffindung von Ähnlichkeiten ist.
8. Vorurteile, Erziehung, Gefühle, Parteiungen beirren den Einen mehr als den Andern.
9. Nachdem man Vertrauen in menschliches Zeugniss gewonnen hat, erweitern Bücher und Unterhaltung den Gesichtskreis des Einen in seinem Wahrnehmen und Denken mehr als den des Andern. So liessen sich noch manche andere Umstände auffinden, aus welchen der Unterschied in den Verstandeskräften der Einzelnen hervorgeht.

The Aberdeen Bestiary
The Bodleian Library Bestiaries
Animal Lore in French Medieval Manuscripts
Physica: Zoologie
Speculum arabicum
Conrad Gessners Tierbücher
AnimalBase: Early Zoological Literature online
Tierische Sternbilder: BSB Clm 210

Tiere als Attribute von Heiligen
Von Karl Veitschegger © 2001         

Tier
Heilige mit Gedenktag
Adler
Evangelist Johannes 27.12, Medard 8.6., Priska von Rom 18.1., Theoderich (Dietrich) v. Mont d´Or 1.7., Vitus 15.6.,
Bär/Bärin König Edmund 20.11., Gallus 16.10., Kolumba 31.12., Kolumban 23.11., Korbinian 8.9 u.20.11., Landrada 8.7., Richardis 18.9., Romedius 15.1., Thekla 23.9., Vedast 6.2.
Biene/Bienenkorb
Ambrosius 7.12., Bernhard v. Clairvaux 20.8., Johannes Chrysostomus 13.9. , Maria Mutter Jesu 8.12.,15.8. etc.
Delphin Petronilla 31.5.
Drache Beatus 9.5., Cyriakus 8.8., Eucharius v. Trier 9.12., Georg 23.4., Germanus v. A. 31.7., Hilarius 13.1., Honorat 16.1., Leo d. Große 10.11., Magnus 6.9., Margareta v. Antiochien 20.7., Mennas 11.11., Narzissus v. Gerona 29.10, Olaf Haraldson 29.7., Servatius 13.5., Silvester 31.12., Wilhelm v. Aquitanien 28.5.
Einhorn Agatha 5.2., Firmin 25.9., Gebhard v. Salzburg 15.6. , Justina v. Padua 7.10., Maria Mutter Jesu, Sturm(i) 16.12.
Ente
Brigida v. Meath 1.2.
Esel
Antonius v. Padua 13.6. , Brun v. Querfurt 9.3., Gerold v. Groß-Walsertal 19.4., Sola 5.12.
Falke
Bavo (Allowin) 1.10., Jeron 17.8.
Fisch
Amalberg 8.7., Antonius v. Padua 13.6. , Arnulf 18.7., Benno v. Meißen 16.6., Bertold 27.7., Prophet Jona 21.9., Apostel Petrus 29.6., Erzengel Raphael 29.9., Ulrich v. Augsburg 4.7., Verena 1.9., Waltger 16.11.
Frosch
Pirmin 3.11.
Gans Brigida v. Meath 1.2., Martin v. Tours 11.11.
Greif Himer 13.11.
Hahn Odilia 13.12., Apostel Petrus 29.6., Valentin v. Terni 14.2., Vitus 15.6.
Hase Rosa v. Lima 23.8., Vitus 15.6.
Hirsch Eustachius 20.9. , Germanus 31.7., Hubertus 3.11., Idda v. Toggenburg 3.11., Katharina (Karin) v. Schweden 24.3., Meinolf 5.10. , Prokop 25.3.
Hirschkuh
Genovefa 3.1., Goar 21.7., Ida v. Herzfeld 4.9.
Hund
Ägydius 1.9., Benignus 17.2., Bernhard v. Clairvaux 20.8., Eucharius v. Trier 9.12., Gottfried v. Amiens 8.11., Heinrich Seuse 23.1., Hubertus 3.11., Margareta v. C. 22.2., Robert v. Newminster 7.6., Rochus 16.8.
Kamel Drei Könige (Kaspar, Melchior, Balthasar) 6.1., Mennas 11.11.
Katze
Gertrud v. Nivelles 17.3.
Kranich Burkhard 18.5.
Krokodil Theodor v. Euchatia 9.11.
Kuh Berlind 3.2., Felizitas 7.3., Gunthildis 22.9., Leonhard 6.11., Patrick 17.3., Perpetua 7.3.
Lamm/Schaf
Agnes 21.1.,Coleta Boillet 6.3., Gezelin 6.8., Giselbert v. Schottland 1.10., Hartmann 12.12., Johannes der Täufer 24.6., Karlmann 17.8., Klemens v. Rom 23.11., Lantpert 18.9., Medard 8.6., Paschalis Baylon 17.5.
Lerche Coleta Boillet 6.3.
Löwe Agapitus 6.8., Chrysanth 25.10., Prophet Daniel 21.7., Daria 25.10., Felizian 9.6., Gertrud v. Altenberg 13.8., Hieronymus 30.9., Ignatius v. Antiochien 17.10., Evangelist Markus 25.4., Martina 30.1., Pantaleon, Paulus v. Thebais 10.1., Simson, Polykarp 23.2., Primus 9.6., Thekla 23.9., Vitus 15.6.
Maultier
Franziska v. Rom 9.3.
Mäuse
Gertraud v. Nivelles 17.3., Martin v. Porres 3.11.
Nachtigall Rosa v. Lima 23.8.
Ochse
Sebald 19.8., Guido v. Anderlecht 12.9., Leonhard 6.11., Patrick 17.3.
Pfau
Liborius v. Le Mans 23.7.
Pferd Hippolyt 13.8., Isidor der Bauer 15.5., Jeanne d`Arc (Johanna) 30.5., Ladislaus v. Ungarn 29.7., Martin v. Tours 11.11., Mennas 11.11., Wendelin 20.10
Rabe Benedikt v. Nursia 11.7., Idda v. Toggenburg 3.11., Meinrad 21.1., Paulus v. Thebais 10.1.
Reh Germanus 31.7.
Schlange Amandus 6.2., Adam und Eva 24.12., Benedikt 11.7., Christina v. Bolsena 24.7., Hilarius 13.1., Hilda v. Whitby 17.11., Apostel Johannes 27.12., Patrick 17.3., Pirmin 3.11., Silvester 31.12., Thekla 23.9.
Schwein Antonius der Einsiedler 17.1., Blasius 3.2., Mono 18.10., Wendelin 20.10
Skorpion Demetrius 8.10.
Spinnen Konrad v. Konstanz 26.11.
Stier Blandina 2.6., Isidor der Bauer 15.5., Leonhard 6.11., Evangelist Lukas 18.10., Saturnin (Serin) 29.11., Silvester 31.12., Theopompus 3.1., Wendelin 20.10
Taube David v. Menevia 1.3., Dominikus 8.8., Eduard der Bekenner 13.10. , Fabian 20.1., Gregor d. Große 3.9., Gregor v. Nazianz, Hadelin 2.1., Julia v. Karthago 22.5., Joachim Vater Mariens 26.7., Johanna Maria Bonomo 22.2., Johannes Chrysostomus 13.9., Konstantia 18.2., Kreszentia Höß 5.4., Kunibert 12.11., Mechthild v. Hackeborn 19.11., Medard 8.6., Noah, Oda v. Brabant 27.11., Paulinus v. Trier 31.8., Polykarp 23.2., Regina v. Burgund 7.9., Remigius 1.10., Scholastika 10.2., Severus 1.2., Theresia v. Avila 15.10, Thomas v. Aqin 28.1., Papst Zacharias 15.3.
Vögel Gamelbert 17.1., Hilda v. Whitby 17.11., Franz v. Assisi 4.10
Wildgänse Amalberg 8.7., Liudger 26.3.
Wolf Arnulf 18.7., Blasius 3.2., König Edmund 20.11., Poppo 19.7., Radegundis v. W. 18.7., Remaklus 3.9., Sola 5.12., Sintpert v. Murbach 13.10., Vedast 6.2., Wolfgang 31.10  

Tierepos

I. ALLGEMEIN. MITTELLATEINISCHE, DEUTSCHE UND ROMANISCHE LITERATUR Das Tierepos als Gattung ist keinesfalls aus der antiken Epenparodie mit animal. Protagonisten Froschmäusekrieg ableitbar, sondem eine Erndung des MA, ein Produkt der Wechselwirkung von gelehrt-schriftl. und volkstüml. Tradition und des germ.-roman. Kulturkontaktes im (ehemal.) karolingischen Mittelreich Lotharingien. Es ist ein Episodengedicht, bestehend aus einzelnen, einer mehr oder minder kohärenten epischen Gesamtstruktur eingefügten Tierschwänken. Der Tierschwank unterscheidet sich von der abstrakteren und lehrhafteren Fabel durch ein Mehr an illustrativer Ausschmückung, Belebung des Raumes, Plastizität der Akteure, Kontingenz und v. a. Komik der Handlung. Da es sich hier nur um eine graduelle Differenzierung handelt, kennen die meisten Schwänke des jeweiligen Tierepos auf Fabeln und weit seltener auf Motive anderer Gattungen (Mythos, Märchen, Naturkunde etc.) zurückgeführt werden und sich umgekehrt bei Neubearbeitung der Fabelgattung durchaus wieder annähern (so im Reinhart Fuchs). Selbst kaum schwankhaft umgestaltete ,originale' Fabeln nden neben den Schwänken im T. ihren Platz. Obwohl der Tierschwank der Allegorie noch ferner steht als die Fabel, die ihrerseits schon als ktive Erzählung (fabula im Sinne der christlichen Poetik und Hermeneutik) in Ermangelung eines sensus spiritualis an sich keiner Allegorese zugänglich ist, schreckt man gelegentlich auch vor einer solchen nicht zurück, auch nicht im spätma. Tierepos. Den stofflichen, seit dem 9. Jh. schriftl. überlieferten Kern der ältesten Tierepen bildet das Motiv vom Hoftag des (kranken) Löwen, ein Motiv, dessen Herkunft (aus der äsopischen Fabel oder aus mündl., vielleicht germ. Erzählgut?) und ursprgl. Gestalt nicht gesichert sind. Es liegt der Binnenerzählung der Ecbasis cuiusdam captivi zugrunde, liefert aber ebenso wie deren Außenfabel vom geohenen und durch den Wolf verlockten Kalb nur das eher magere pseudo-epische Skelett für eine sprunghafte Aneinanderreihung zoomorpher Abbilder menschlichen Fehlverhaltens. Damit steht die Ecbasis einer Verssatire wie dem Speculum stultorum des Nigellus de Longo Campo (1179/80), die freilich nicht nur auf epische Kontinuitiit, sondern auch aufdurchgängige Verwendung echten Tierpersonals verzichtet, näher als dem ersten T. im engeren Sinne, dem Isengrimus von ca. 1148/49. Dieser entstammt wie die Ecbasis dem monastischen Milieu und macht nun neben der Hoftagsfabel das frühma., in der Fecunda ratis Egberts v. Lüttich (ca. 1023) erstmals ausdrücklich belegte und auch in der Ecbasis erwähnte Motiv vom Wolf als Mönch zum zweiten Kristallisationspunkt einer die 24 Episoden einigermaßen integrierenden epischen Gestaltung.
Generell dominiert im T. die gegenbildliche Komik, welche aus der persiflierenden Inversion von Texten, Handlungen, Gebräuchen aus anderen lit. Gattungen und anderen kulturellen Kontexten entsteht. Im Isengrimus herrscht sie allein und entstammt ganz überwiegend dem klerikalen Bereich (Bibel, Liturgie, Legende etc.), dagegen im ersten volkssprachlichen T., den ältesten Branchen des afrz. Roman de Renart aus dem späteren 12. Jh., vorwiegend dem hösch-ritterl. Milieu (Heldenepos, Roman, Min- nesang), ebenso dann in den anschließnden mhd., mittelenglischen. und mndl. Bearbeitungen. Das Kernmotiv vom Hoftag des Löwen wird auch hier aufgegriffen, aber zur Satire auf die Hofgerichtsbarkeit umgeformt. Das Schwankhafte des Renart vererbt sich am stärksten dem mndl. T. Van den Vos Reynaerde (Mitte 13. Jh.?), das ande- ren ,grotesken' Formen der Komik am ehesten Eingang gewährt. Daneben dringen aber auch geistl. Elemente wieder stärker ein, um so mehr dann in die spätma. Fortsetzungen und Ableger. Das Publikum weitet sich nun auf mehrere Stände aus, zuerst allmählich z.B. bei Jacquemart Giélée aus Lille, oder im umfangreichen Renart le Contrefait eines Klerikers aus Troyes (1319-40), dann aber vermehrt mit den ersten Drucken, insbes. dem volksseelsorgerisch genutzten mnd. Reynke de Vos von 1498 und der Umarbeitung in mndl. Prosa 1479 (Gouda) bzw. 1485 (Delft). Auf dem Goudaer Druck beruht auch die me. Übersetzung von Caxton (Westminster 1481), während man zuvor im Mittelenglischen nur einzelne Tierschwänke des Roman de Renart bearbeitet hatte. Kaum ein anderes lit. Erbe des MA ist auch noch im neuzeitlichen Europa so eifrig und getreu bewahrt worden wie das Tierepos.
F. P. Knapp   Aus: Lexikon des Mittelalters, Bd. VIII (gekürzt) Neuer Absatz

Ich möchte Sie auf eine Internetseite der Universität Mainz hinweisen, die mancherlei Material für unser Seminar bereit hält:

https://www.animaliter.uni-mainz.de/die-lexikon-seite/

Augustinus     "Man darf nicht daran zweifeln, dass das entgegengesetzte Streben der guten und bösen Engel nicht in der Verschiedenheit ihres Wesens und Ursprungs begründet ist, da Gott, der gute Urheber und Schöpfer aller Wesen, sie beide geschaffen hat, sondern in der Verschiedenheit ihres Wollens und Begehrens. Denn die einen verharren standhaft bei dem allen gemeinsamen Gut, das für sie Gott selber ist, und bei seiner Ewig­keit, Wahrheit und Liebe; die andern, von ihrer eigenen Macht be­rauscht, fielen, als könnten sie ihr eigenes Gut sein, von dem höheren, allen gemeinsamen, beseligenden Gute auf sich selbst zurück, tauschten dünkelhafte Selbstüberhebung ein für die hoch erhabene Ewigkeit, nichtsnutzige Schlauheit für gewisseste Wahrheit, parteiische für allge­meine Liebe und wurden hochmütig, trügerisch, neidisch. Gott anhan­gen, das ist für die einen Grund der Seligkeit, so ergibt sich als Grund der Unseligkeit der anderen das Gegenteil: Gott nicht anhangen. Wenn also auf die Frage, warum die einen selig sind, die Antwort mit Recht lautet: Weil sie Gott anhangen, und auf die Frage, warum die andern unselig: Weil sie Gott nicht anhangen, so gibt es für die mit Vernunft und Geist begabte Kreatur kein anderes Gut, das selig machen kann, als Gott allein. Also, obschon nicht alle Geschöpfe glückselig sein können - denn wilde Tiere, Bäume, Felsen und dergleichen erlangen diese Gnadengabe nicht, sind auch nicht empfänglich dafür -, sind es doch diejenigen, die es sein können, nicht aus sich selbst, da sie aus nichts geschaffen sind, sondern durch den, der sie geschaffen hat. Gewinnen sie ihn, sind sie selig, ver­lieren sie ihn, unselig. Er aber, der durch kein anderes Gut, sondern durch sich selbst selig ist, kann darum nie unselig sein, weil er nie sich selbst verlieren kann.


Wir sagen also: Es gibt nur ein unwandelbares Gut, den einen, wahren, seligen Gott; dagegen, was er geschaffen hat, ist zwar gut, weil es von ihm stammt, doch auch wandelbar, weil es nicht aus ihm, sondern aus nichts erschaffen ist. Obschon sie also nicht zuhöchst gut sind, da Gott ein höheres Gut ist als sie, stellen darum doch auch die wandelbaren Geschöpfe ein hohes Gut dar, da sie dem unwandelbaren Gut anhangen können, um selig zu sein. Denn dies ist für sie so sehr das Gut, dass sie ohne es notwendig unselig sein müssen. Und nicht etwa sind in der Gesamtheit der Schöpfung andere Wesen darum besser, weil sie nicht unselig sein können, sonst müssten ja die übrigen Glieder unsers Körpers darum besser sein als die Augen, weil sie nicht erblinden können. Aber wie ein empfindendes Geschöpf, auch wenn es Schmerzen leidet, besser ist als ein Stein, den nichts schmerzt, so ist ein vernünftiges Wesen, mag es auch unselig sein, vorzüglicher als ein Wesen, das keine Vernunft, vielleicht auch keine Empfindung besitzt und darum für Unseligkeit nicht empfänglich ist."   Aus: Vom Gottesstaat, 12,1

Thomas von Aquin  

"Keiner sündigt, indem er eine Sache zu dem verwendet, wozu sie bestimmt ist. In der Ordnung der Wesen aber sind die unvollkommenen wegen der vollkommenen da; wie auch die Natur beim Vorgang der Zeugung vom Unvollkommenen zum Vollkommenen fortschreitet. Wie daher bei der Zeugung des Menschen zuerst das Lebewesen, dann das Sinnenwesen, zuletzt der Mensch da ist [23], so sind auch die Wesen,

die nur Leben haben, wie die Pflanzen, im allgemeinen für alle Tiere da, und die Tiere für den Menschen. Wenn deshalb der Mensch die Pflanzen gebraucht für die Tiere und die Tiere zum Nutzen des Menschen, so ist das nicht unerlaubt; wie das auch aus dem Philosophen erhellt (Aristoteles, B.K.).

Unter den verschiedenartigen Verwendungsmöglichkeiten nun scheint jener Gebrauch am meisten notwendig zu sein, bei dem die Tiere sich der Pflanzen, die Menschen sich der Tiere zur Nahrung bedienen, was nicht ohne Tötung jener geschehen kann. So ist es denn erlaubt, sowohl die Pflanzen zu töten zur Nahrung für die Tiere als auch die Tiere zur Nahrung des Menschen, und zwar auf Grund der göttlichen Ordnung. Denn so heisst es Gn l,29f.: "Sehet, Ich habe euch alles Kraut und alle Bäume gegeben, dass sie euch und allen Tieren zur Nahrung seien." Und Gn 9,3 heisst es: "Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Speise dienen." Die heilige Liebe ist nach dem Gesagten (23,1) eine Art Freundschaft. Kraft der Freundschaft aber liebt man einmal den Freund, mit dem man Freundschaft hat; und dann die Güter, die wir dem Freunde wünschen. In der ersten Weise kann kein vernunftloses Geschöpf aus heiliger Liebe geliebt werden. Und das aus einem dreifachen Grunde. Zwei dieser Gründe beziehen sich allgemein auf die Freundschaft, die man mit den vernunftlosen Geschöpfen nicht eingehen kann. Und der erste ist, weil wir Freundschaft nur mit dem haben, dem wir Gutes wollen. Im eigent­lichen Sinne aber kann ich dem vernunftlosen Geschöpfe nicht Gutes wollen, denn es ist nicht seine Sache, ein Gut zu besitzen, sondern nur Sache des vernunftbegabten Geschöpfes, das Herr ist über den Gebrauch des Gutes, das es kraft des freien Wahlvermögens besitzt. Deshalb sagt der Philosoph, dass wir bei diesen Wesen nur bildhaft davon sprechen, dass ihnen etwas Gutes oder Böses zustösst. - Zweitens, weil jede Freundschaft in irgendeiner Lebensmitteilung gründet. "Denn nichts eignet der Freundschaft mehr als das Zusammenleben" (Aristoteles).
Die vernunftlosen Geschöpfe aber können keine Gemeinschaft haben mit dem menschlichen Leben, das sich nach der Vernunft vollzieht.
Daher kann man zu den vernunftlosen Geschöpfen keinerlei Freundschaft haben als höchstens in übertragenem Sinne. -
Der dritte Grund ist der heiligen Liebe ganz eigentümlich: weil die heilige Liebe in der Mitteilung der ewigen Seligkeit gründet, deren das vernunftlose Geschöpf gar nicht fähig ist. Deshalb kann man die Freundschaft der heiligen Liebe mit den vernunftlosen Geschöpfen nicht haben. Jedoch können die vernunftlosen Geschöpfe mit der heiligen Liebe geliebt werden wie die Güte, die wir anderen wollen; sofern wir aus der heiligen Liebe heraus wollen, dass sie zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Menschen erhalten werden. Und so liebt auch Gott sie mit heiliger Liebe [vgl. 1 20,2 Zu 3: Bd. 2]."  

Aus:
Thomas von Aquin, Summa Theologiae IIa-IIs q. 25, art. 3.

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Zur symbolischen bzw. zeichenhaften Bedeutung des Hundes in der mittelalterlichen Tierinterpretation   Die Bedeutung, die der Hund für die Jagd besaß, hat sich in vielen Sprichwörtern niedergeschlagen. Es gibt eine Unzahl von Redewendungen, die den Hund auf diesen Lebensbereich bezie­hen. So heißt es von einem Menschen, der sich schlau allen Gefahren zu entziehen weiß, er sei <mit allen Hunden gehetzt>. Wer nicht auf sich aufmerksam machen will, sondern ein Inter­esse daran hat, im Verborgenen zu bleiben, möchte keine <schlafenden Hunde wecken). Der Ausdruck (vor die Hunde gehen) könnte aus der Jägersprache hergeleitet sein und sich auf kran­kes, schwaches Wild beziehen, das leicht den Jagdhunden zum Opfer fällt, wenn nicht ganz allgemein die Geringschätzung des Hundes zur Bildung dieser Metapher geführt hat. Aus der unendlichen Fülle der Beispiele seien hier nur noch einige we­nige herausgegriffen: «Alter Hund macht gute Jagd; den letzten beißen die Hunde; ein bellender Hund taugt nicht zur Jagd; es ist ein schlechter Hund, den man zur Jagd tragen muß» und «viele Hunde sind des Hasen Tod.»
 
Das Mittelalter hat die Jagd jedoch nicht nur real und den Hund nicht nur als wirklichen Jagdhund betrachtet, den man züchten, pflegen und wegen seiner Kostbarkeit gut behandeln mußte.   Es hat die Jagd auch allegorisiert und damit mit einer geistigen bzw. geistlichen Bedeutung versehen. In diesem Sinne schreibt z. B. Hadamar von Laber (1300 - 1360)* um 1340 ein Minnegedicht in Form einer Allegorie: Am Leitseil den Hund <Herze> reitet ein Jagdherr aus, um einem edlen Wild, der Minne, nachzujagen. Knechte führen die Hunde (Freude, Wille, Wonne, Trost, Beständigkeit, Treue, Harro und viele andere mit. Nach vielen Gefährdungen und Rückschlägen gelingt es dem Jäger, das Wild zu stellen. Aber die Wölfe, die böse Gesellschaft, schlagen die Hunde in die Flucht. Und da der Jäger zögert, den Hund <Ende>, die Sinnlichkeit, auf das Wild zu hetzen, bleibt ihm zum Schluß nur die Hoffnung, daß die Hunde <Treue> und <Harre> ihn schließlich doch noch zu seinem Ziel führen. ·         https://archive.org/details/hadamarsvonlabe00stejgoog   Die symbolische bzw. zeichenhafte Bedeutung des Hundes, die im Mittelalter neben seiner realen Funktion als überaus wichtig galt, ergab sich aus der Tatsache, daß die Tiere im christlichen Bereich im bevorzugten Maße in das Licht einer geistlichen Sinnauslegung traten. Sie geht allgemein auf biblische Traditionen, im Besonderen aber auf den Physiologus, die Hauptschrift der christlichen Natursymbolik zurück, einer Schrift des vierten (?) nachchristlichen Jahrhunderts, in der die Tiere zumeist auf Christi Heilstaten hin ausgelegt werden. Die Eigenschaften oder Verhaltensformen der Tiere werden hier in ein Analogieverhältnis gebracht zu Eigenschaften oder Verhaltensweisen der höheren Wesen, zu denen sie in Beziehung gesetzt werden; Zeichen und Bezeichnetes gehören also unterschiedlichen Ebenen an.   Der Physiologus hat neben der Bibel die wohl größte Verbreitung gefunden und die gesamten Tiervorstellungen des Abendlandes entscheidend mitgeprägt: wo immer im Mittelalter Tiere erscheinen, ob in den Bestiarien, den Tierbüchern jener Zeit, oder in der philosophischen oder geistlichen Tierauslegung, in Predigten oder in der Homiletik, in den Moral- oder Naturlehren, in literarischen Texten oder auf bildlichen Darstellungen, immer ist seit dem Physiologus mitzudenken, daß das Tier nicht nur einen literalen Sinn besitzt. Es meint also nicht nur, was es real ist, sondern dieser literale Sinn verschlüsselt den eigentlichen, den allegorischen Sinn; dem Interpreten kommt mithin die Aufgabe zu, den eigentlichen Sinn herauszufinden und zu verstehen.   Seltsamer- oder auch bezeichnenderweise findet sich im Physiologus kein eigener Abschnitt über den Hund. Das ist merkwürdig, da es sich damals schon um eines der wichtigsten und verbreitetsten Tiere gehandelt haben dürfte. Aber vielleicht fehlt der Hund gerade aus diesem Grund. Auf jeden Fall hat die Tatsache, daß der Hund im Physiologus übergangen wurde, dem Hundebild nicht die Konstanz und Festigkeit gegeben, die andere Tiere in der Auslegungstradition erhielten.   Das allegori­sche Hundebild ist vielfältig und daher etwas schillernd. Betrachten wir einige der zahllosen Auslegungen, in denen Dinge, die vom Hund gesagt werden, mit geistlichem Sinn gefüllt werden.
 
In einem alttestamentarischen Weisheitsspruch (Prov. 26,11) heißt es vom Hund, daß er seinen eigenen Auswurf wieder auffrißt. Die allegorische Auslegungstradition versteht das so: der Hund bezeichnet dadurch denjenigen Menschen, der, kaum daß er seine Sünden aufgegeben hat, wieder rückfällig wird. Oder es heißt vom Hund, daß er mit seiner Zunge Wunden heilt; der allegorische Sinn: der Priester soll die Men­schen mit Trost, nicht mit Schrecken heilen. Oder: ein einge­schlossener Hund winselt und möchte gerne heraus zu seinem Herrn; in der Schriftauslegung erhält das folgenden Sinn: die guten eistlichen Menschen rufen zu Gott und warten darauf, daß sie von dieser Welt scheiden können.   In einem alten englischen Bestiarium des 12.Jahrhunderts wird ein Hund abgebildet, der für den gespiegelten Kuchen in einem Teich den Kuchen, den er im Maul hält, fallen läßt und ins Wasser springt, womit jene törichten Menschen gemeint sind, die einen realen Besitz für etwas Unbekanntes eintauschen. Zwei Hunde, die ihre Wunden lecken, um sie zu heilen, repräsentieren die Sünder, deren Sünden vergeben werden, wenn sie vor Gott in der Beichte offenbart werden.   Überblickt man die vielen Auslegungsinhalte, so sieht man schnell, daß der Hund keineswegs einheitlich beurteilt bzw. bewertet wurde. Vielmehr lassen sich deutlich negative von positiven Sinngebungen unterscheiden.   In den negativen wirkt eine Interpretationsgeschichte nach, die den Hund von jeher mit dem Schlechten und Gemeinen, dem Wertlosen und Unedlen, mit magischen Praktiken und Aberglauben, mit dämonologischen Vorstellungen und satanischen Phantasien in Verbindung brachte, wie sie seit der Antike vertraut sind: etwa im Bild des Tradition des Abendlandes einen gewaltigen Einfluß gewann, wird der Hund zum Vergleich einem von Lastern entstellten Menschen an die Seite gestellt: «Wild und unruhig übt er seine Zunge in Zänkereien; du magst ihn mit einem Hund verglei­chen».
 
Daran konnte die monastische Literatur und zumal die geistliche Rhetorik der Predigt anknüpfen, wenn sie in ihren Jagdallegorien den Hund mit den Hauptsünden in Beziehung setzte: noch bei dem Mystiker Tauler, also im 14.Jahrhundert, verkörpern die größeren Hunde die sieben Hauptsünden, die kleineren die geringeren Unvollkommenheiten. Als widergött­liche dämonische Mächte erscheinen die Jagdhunde in einer anonymen Jagdpredigt des 14. Jahrhunderts. Relikte des dunkel-­mythischen Hundebildes finden sich auch in der hagiographischen Legende, dort wo der Hund, wie etwa in der Andreasle­gende, als Teufel bzw. der Teufel im Hund erscheint.   Auch in vielen der bis heute noch geläufigen negativen Sprichwörter mag diese Tradition der Auslegung nachwirken. Wenn wir von jemanden sagen, er sei ,auf den Hund gekommen' oder ,gehe vor die Hunde', wenn wir vom ,Hundeleben' spre­chen oder vom ,verhunzen', wenn es im Mittelalter als unehren­hafte Schandstrafe für Adlige galt, ,Hunde zu tragen' - so spricht dies alles dafür, daß der Hund auch als etwas Minderwertiges, Unedles, Verächtliches angesehen werden konnte. Hier scheint bereits jene Bewertung des Animalischen zum Ausdruck zu kommen, die eine so entscheidende Komponente des späteren Hundebildes darstellt, eine Bewertung, die beides enthält: An­ziehendes wie Abstoßendes, Abwehr wie Faszination.   Neben diesem negativen Bild steht jedoch das positive, das sogar, aufs Ganze gesehen, das dominante ist. Schon Isidor von Sevilla (570-636), der bedeutsamste Vermittler antiken Gedan­kenguts, der mit seinen (Etymologien) dem Mittelalter ein Grundwerk der lateinischen Kultur hinterließ, rühmte den Scharfsinn und das feine Unterscheidungsvermögen des Hun­des, und auch dieses Urteil hat in der Folgezeit nachgewirkt. Wachsamkeit, Furchtlosigkeit, Klugheit und Treue sind die Tugenden, die dem Hund vor allem zugeschrieben werden und die das positive Tierbild bestimmen. So wird der Hund als wachsamer Wächter zum Bild für den Prediger, und in diesem Das Bild des Hundes als eines Predigers, das sich auf Jesaja 56,10 zurückbeziehen läßt, scheint zum ersten Mal in der Pasto­ralregel des Kirchenvaters Gregor des Großen (Kap. IV) belegt zu sein. In der Parabel vom reichen Prasser und armen Lazarus (Luk. 16,21) lesen wir:
 
«Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären und begehrte, sich zu sättigen von dem, was von des Reichen Tische fiel; dazu kamen auch noch die Hunde und leckten ihm seine Schwären.»   Nach Gregor dem Großen sind mit den Hunden, deren Zunge Wunden durch Belecken heilt, die Prediger gemeint. Auch die heiligen Lehrer berühren und heilen gleichsam mit ihrer Zunge Seelenwunden, wenn sie auf ein Sündenbekenntnis hin die Menschen mahnen. Daß auch einige Heilige mit einem Hund abgebildet werden, findet in dieser Deutungstradition seine Erklärung. So soll z. B. die Mutter Bernhards v. Clairvaux (1091-1153) vor seiner Ge­burt geträumt haben, sie trüge ein bellendes, weißes Hündchen in ihrem Schoß, was folgendermaßen gedeutet wurde: das Kind werde einmal ein treuer, wachsamer Hüter des Hauses Gottes, der Kirche, und ein machtvoller Prediger des Heils. Ein ähnli­cher Traum ist von der Mutter des Dominikus überliefert: sie gebäre einen Hund mit einer brennenden Fackel im Maul, der die ganze Welt in Flammen setzen würde.   Der Kirchenvater Ambrosius hatte bereits im 4. Jahrhundert diese Auslegung vorbereitet, indem er von allen Christenmen­schen die Wachsamkeit des Hundes gegenüber dem Herrn forderte. Den Hunden sei die Dienstfertigkeit und die ängstliche Wachsamkeit über die Wohlfahrt ihres Herrn gleichsam ange­boren. Daher seien die Pflichtvergessenen, Nachlässigen und Feiglinge unter den Menschen gewissermaßen stumme Hunde, die nicht zu bellen verstünden. Wie der Hund für seinen Herrn zu bellen bereit sei, so müsse auch der Mensch seine Stimme für Christus erheben, wenn gefährliche Wölfe in die Höhle des Herrn einbrechen.   Daß der heilige Rochus, der Pfleger und Patron der Pestkran­ken, einen Hund bei sich hat, dürfte darauf zurückzuführen sein, daß die Legende erzählt, sein Hund habe ihn mit Brot ernährt. Vielleicht spielt aber hier auch die Lazarusgeschichte mit hinein. Zwar hat der Hund, der dem armen Lazarus mitleidsvoll die Geschwüre leckte, für die mittelalterliche Allegorese kein fest umrissenes Bezugsmodell geschaffen; doch es gibt eine Reihe von Texten, die in diesem Hund und seinem Verhalten das Zeugnis heilenden Arztdienstes erblicken. So heißt es in der Naturkunde der Hildegard von Bingen (1098-1179), «die Wärme seiner Zunge bringe Wunden und Geschwüren Heilung, wenn er sie mit seiner warmen Zunge beleckt». Und Konrad von Megenberg (um 1309-1374) nennt in seinem Buch der Natur, der ersten Naturgeschichte in deutscher Sprache, die Zunge des Hundes ausdrücklich <ain ärzetinne>.   Noch auf eine letzte symbolische Ausdeutung ist kurz hinzu­weisen. Wie der Löwe findet sich auch der Hund sehr häufig auf Wappenbildern und besonders auch auf Grabdenkmälern, meist zu Füßen des Verstorbenen. Allgemein ist dies verstanden worden als Inkarnation der Treue, möglicherweise läßt es sich aber auch konkreter interpre­tieren als Symbol der Macht, wofür man beachtliche Gründe beigebracht hat. Nach dieser Deutung repräsentiert der Löwe die Hochgerichtsbarkeit, der Hund dagegen die niedere. Hund wie Löwe kommen demnach nur dem Adel zu. Beide Tierbilder sind verbunden mit gewissen durch Belehnung, Vererbung oder Verkauf übertragbaren Rechten, beide beziehen sich also in dieser Ausdeutung auf gerichtliche Macht.       So darf man sagen, daß das Hundebild, zum mindesten in der gelehrten Allegorie und in den zahlreichen Tierbüchern im allgemeinen doch immer wieder auf wenige enge Schemata reduziert erscheint: negativ ist er der schändliche, Todsünden repräsentierende, oft dämonische, furchterregende, verächtliche Fresser seines eigenen Auswurfs; positiv dagegen sieht man in dem wachsamen, treuen, mitleidigen Tier den Wächter, den Prediger, den Lehrer, den Arzt, das Symbol gerichtlicher Macht.   Auf einem Bild Hans Memlings (1434-1494) erscheint ein Hund neben der Allegorie der Eitelkeit, die als nackte Frau mit einem Spiegel dargestellt wird, bei der das Hündchen vielleicht dazu dient, gerade ihre Luxuria und ihr oberflächlich-äußerliches Leben hervorzuheben.   Ein jüngerer Zeitgenosse Memlings, Hieronymus Bosch, der zwischen 1480-1516 gemalt hat, greift, an der Schwelle zur Neuzeit, noch einmal die Vielfalt der allegorischen Ausdeu­tungstradition auf. Bei ihm finden sich alle nur erdenklichen Hundearten: gutmütige, naive Hunde bei den «Heiligen drei Königen» und der «Anbetung der Hirten»; reizbare Geschöpfe bei der «Trägheit», einem Teil des «Garten der Lüste»; apathi­sche Hunde bei den Darstellungen des «verlorenen Sohnes»; diabolische Tiere bei den «Versuchungen des heiligen Anto­nius» oder aufmerksame und gelehrige Tiere wie das Hündchen mit dem Schellengeschirr, der Narrenkappe und dem Questen- schwanz auf dem Bild vom Gaukler. Immer scheinen sie zum Darstellungssinn der jeweiligen Episode etwas Wichtiges beizu­tragen, unterstreichend, pointierend oder auch im kontrapunk­tischen Gegensinn. Dennoch bleibt ihre Bedeutung im Einzel­nen unklar, bizarr, kryptisch. Es kommt einem vor, als habe der Maler noch einmal alle Varianten der Deutungstradition ausge­nutzt, ohne den Schlüssel für deren Erkenntnis mitzuliefern.
 
Nun könnte die allegorische Auslegungstradition leicht dazu veranlassen, daß man übersieht, daß es auch im Mittelalter bereits persönliche Beziehungen zwischen Mensch und Hund gab. Schon bei der Darstellung des Jagdbereiches zeigte sich, welchen Wert der Hund für den Menschen besaß. Besonders war es aber die Literatur, die immer wieder engere Bindungs­möglichkeiten beschrieb. So wird z.B. in dem Fragment des lateinischen Ritterromans Ruodlieb (um 1050) dem Hund durchaus schon ein besonderer, fast liebevoller Platz einge­räumt: Investigator (Aufspürer) und praecursor (Vorläufer) heißt er, bicolor (gescheckt) ist er, trägt ein goldenes Halsband und darf beim Empfang am Hof mit dabei sein.   Persönlichere Züge nimmt auch schon das Hundebild an, das Hildegard von Bingen (1098-1179) entwirft: *   «Der Hund ist recht warm und hat in seiner Natur und seinen Gewohnheiten etwas vom Men­schen, liebt ihn, hält sich gern bei ihm auf und ist ihm treu. Der Teufel haßt den Hund und schreckt vor ihm zurück wegen der Treue, die er zum Menschen empfindet. Der Hund erkennt Feindseligkeit, Zorn und Unredlichkeit am Menschen und knurrt oft deswegen. Und wenn er weiß, daß in einem Hause Feindseligkeit oder Zorn herrscht, knirscht er mit den Zähnen und murrt.»   ·         Hildegard von Bingen, Heilkraft der Natur = Physica. Das Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe. Erste vollständige, wortgetreue und textkritische Übersetzung, übers. von Marie-Louise Portmann, Augsburg 1997.     Vorbereitet wurde diese persönlichere Zuwendung zum Tier be­reits lange zuvor durch die philosophisch-theologische Diskus­sion des Mittelalters. Schon Johannes Eriugena (9. Jahrhundert) sprach den Tieren, deren Bewegungen von den älteren Kirchen­vätern nur als uneigenständig im Rahmen der menschlichen Gottesorientierung verstanden wurden, eine unvergängliche Seele zu, weil ihre Regungen und Eigenschaften darauf schließen ließen, daß sie in ihren Handlungen unmittelbar von Gott abhängig seien und somit auch an seiner Ewigkeit Teil hätten. Der Hund des Odysseus, so sagte Eriugena, erkannte nach zwanzig Jahren seinen Herrn wieder, was auf eine besondere Kraft der Seele deute.   Adelard von Bath (12. Jahrhundert) hat diese Auffassung später noch weiter entwickelt und mit Grün­den untermauert. «Für die Philosophen ist es völlig gewiß. Tiere haben Seelen» (zit. n. Nitschke, 247). Und er belegt diese Behauptung durch das Beispiel des Hundes, der nicht nur wahrnimmt, sondern aus dem Wahrgenommenen auch Schlüsse zieht. So läuft er schnell davon, wenn er etwas erblickt, von dem er fürchtet, dieses möge ihm schaden. Also kann er       aufgrund des Wahrgenommenen ein Urteil fällen; und das setzt eine Kraft in ihm voraus. Diese Kraft kann aber nur die Seele sein. Ein Hund wird z. B., nachdem er eine Stimme gehört hat, freiwillig seine gerade begonnene Handlungsweise aufgeben und das ausführen, was die Stimme dem Hund befahl. Also muß der Hund die Stimme verstanden haben. Verstehen kann aber ein Tier nur, wenn es über eine Seele verfügt.   Thomas von Aquin hat im 13.Jahrhundert dieser Auffassung widersprochen und damit eher die gängige Lehrmeinung formuliert. Entscheidend sei, daß das Ziel der Tierseele sich vom Ziel der menschlichen Seele unterscheide. Die Seele des Tieres strebe danach, als lebendiger Körper bestehen zu bleiben, die menschliche Seele dagegen wünsche, in die unkörperliche Ewigkeit zu gelangen.   Solcher rigorosen theologischen Argumentation hat sich der Volksglauben aber immer widersetzt und hat die Vorstellung vom eigenen Hundehimmel entwickelt, der anscheinend als vor dem eigentlichen Himmel hegend gedacht wird und dem treuen Hund als Lohn winkt.   In seiner Narrenbeschwörung greift Thomas Murner (um 1475-1537) diese Vorstellung auf, wenn er zu dem Hund Weckerlein sagt:   «Darum, liebs Weckerlin, lide dich, Du kommst in der Hund Himmelrich; Zu tot geschlagen und geschunden, Den Lohn die Welt gibt allen Hunden» (234).   Und auch Luther pflichtete dem bei, als er von seinen Schülern gefragt wurde, ob die Hunde auch in den Himmel kommen: «Ja freilich, denn Gott wird einen neuen Himmel und ein neues Erdreich schaffen, auch neue Pelverlein (<Belferlein>) und Hünd- lein mit goldener Haut».   Aus: Helmut Brackert, Cora van Kleffens, Von Hunden und Menschen. Geschichte einer Lebensgemeinschaft, München 1989, S. 76 ff. Neuer Absatz

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Giorgio Agamben: "Weltarmut"  
"Das Benehmen des Tieres ist nie ein Vernehmen von etwas als etwas."   Martin Heidegger  

Im Wintersemester 1929/1930 hält Martin Heidegger an der Universität Freiburg seine Vorlesung Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt - Endlichkeit - Einsamkeit. Als er 1975, ein Jahr vor seinem Tod, den Text der Vorlesung zur Publikation freigibt (die erst 1983 in den Bänden 29/30 der Gesamtaus­gabe erfolgt), fügt er ihm in limine eine Widmung für Eugen Fink hinzu und erinnert damit daran, daß dieser "wiederholt den Wunsch äußerte, diese Vorlesung möchte vor allen ande­ren veröffentlicht werden." Von seiten des Autors ist dies ge­wiß eine diskrete Geste, um die Wichtigkeit zu unterstrei­chen, die er jenen Lektionen beigemessen hatte und 1975 immer noch beimaß. Warum steht diese Vorlesung idealiter vor allen anderen, das heißt all jenen Vorlesungen, die im Pro­jekt der Gesamtausgabe 45 Bände umfassen? Die Antwort ist nicht einfach, auch weil die Vorlesung - wenigstens auf den ersten Blick - nicht ihrem Titel entspricht und in keiner Weise als eine Einleitung zu den grundlegenden Konzepten jener so besonderen Disziplin, der "Ersten Philo­sophie", auftritt. Vielmehr widmet sie sich zunächst einer aus­führlichen Analyse der "tiefen Langweile" als einer grundle­genden emotionalen Stimmung, die etwa zweihundert Seiten umfaßt, und gleich darauf einer noch umfassenderen Unter­suchung zur Beziehung des Tieres zu seiner Umwelt und zu derjenigen des Menschen zu seiner Welt.   Heidegger geht es darum, durch die Beziehung zwischen der Weltarmut* des Tieres und dem weltbildenden* Menschen dieselbe grundlegende Struktur des Daseins* - des In­der-Welt-Seins - in bezug auf das Tier zu bestimmen, um auf diese Weise nach Ursprung und Sinn jener Öffnung nachzu­denken, die mit dem Menschen im Lebewesen entstanden ist. Heidegger hat bekanntlich die traditionelle metaphysische Definition des Menschen als animal rationale, als könnte das Wesen des Menschen als das mit Sprache (oder Vernunft) be­gabte Lebewesen durch die einfache Hinzufügung von etwas zum "bloßen Lebewesen" bestimmbar sein, hartnäckig abge­lehnt. In den Paragraphen 10 und 12 von Sein und Zeit ver­sucht er zu zeigen, wie die dem Dasein* eigene Struktur des In-der-Welt-Seins immer schon in jeder (sei es philosophi­schen, sei es wissenschaftlichen) Konzeption des Lebens vor­ausgesetzt ist, so daß das Leben in Wahrheit immer "auf dem Weg einer privativen Interpretation" von dieser Struktur aus definiert wird.  

"Leben ist eine eigene Seinsart, aber wesenhaft nur zugänglich im Dasein. Die Ontologie des Lebens vollzieht sich auf dem Wege einer privativen Interpretation; sie bestimmt das, was sein muß, daß so et­was wie Nur-noch-leben sein kann. Leben ist weder pures Vorhan­densein, noch aber auch Dasein. Das Dasein wiederum ist ontolo­gisch nie so zu bestimmen, daß man es ansetzt als Leben - (ontologisch unbestimmt) und als überdies noch etwas anderes." (Heidegger 1967, S. 50)

Gerade dieses metaphysische Spiel von Voraussetzung und Aufschub, von Entzug und Supplement zwischen dem Tier und dem Menschen wird in den Vorlesungen von 1929/1930 zur Diskussion gestellt. Die Auseinandersetzung mit der Bio­logie, die in Sein und Zeit in wenigen Zeilen beiseite gescho­ben wurde, wird jetzt mit dem Versuch wieder aufgenommen, die Beziehung zwischen dem bloßen Lebewesen und dem Dasein* radikaler zu denken. Aber gerade hier erweist sich der Spieleinsatz als derart hoch, daß die Notwendigkeit ver­ständlich wird, diese Vorlesungen vor allen anderen zu veröf­fentlichen. Im Abgrund - und gleichzeitig in der einzigartigen Nähe -, den die nüchterne Prosa der Vorlesung zwischen Tier und Mensch offenlegt, verliert nicht nur die animalitas, indem sie als dasjenige vorgeführt wird, "was am schwersten zu den­ken ist", jegliche Selbstverständlichkeit, sondern auch die humanitas erscheint als etwas Ungreifbares und Abwesendes, schwebend zwischen einem "Nicht-bleiben-Können" und ei­nem "Den-Platz-nicht-aufgeben-Können". Der rote Faden, der sich durch Heideggers Ausführungen zieht, ist durch eine dreifache These gegliedert: "Der Stein ist weltlos, das Tier ist weltarm, der Mensch ist weltbildend." Da der Stein (das Leblose), dem jeglicher Zugang zu dem, was ihn umgibt, verwehrt ist, schnell abgefertigt wird, kann Hei­degger seine Untersuchung mit der mittleren These begin­nen, indem er unverzüglich das Problem angeht, was man sich unter "Weltarmut" vorzustellen hat. Die philosophische Analyse ist hier gänzlich auf die zeitgenössischen Untersu­chungen der Biologie und Zoologie gerichtet, im einzelnen auf diejenigen von Hans Driesch, Karl von Baer, Johannes Müller und besonders auf diejenigen seines Schülers Jakob von Uexküll. Nicht nur wird festgehalten, daß die Untersu­chungen Uexkülls "zum Fruchtbarsten gehören, was die Phi­losophie heute sich aus der herrschenden Biologie zueignen kann". Darüber hinaus ist der Einfluß auf die Konzepte und die Begriffe der Vorlesungen einschneidender, als es Heideg­ger selbst erkennt, wenn er schreibt, daß sein Wortschatz zur Definition von Weltarmut des Tieres nichts anderes aus­drückt, als was Uexküll mit den Begriffen Umwelt und In­nenwelt meint (Heidegger 1983, S. 383). Heidegger setzt das Enthemmende für Uexkülls Definition von Bedeutungsträ­ger und Merkmalträger und Enthemmungsring für Umwelt. Uexkülls Wirkorgan entspricht Heideggers Fähigkeit zu, die im Gegensatz zu einem einfachen mechanischen Mittel ein Organ definiert. Das Tier ist in seinem eigenen Enthem­mungsring eingeschlossen, der wie bei Uexküll aus den weni­gen Elementen besteht, die seine Wahrnehmungswelt ausmachen. Deswegen kann das Tier wie bei Uexküll, "wenn es zu Anderem in Beziehung kommt, nur auf solches treffen, was das Fähigsein ,angeht', anläßt. Alles andere vermag im vor­hinein nicht in den Umring des Tieres einzudringen." (Hei­degger 1983, S.369) Aber gerade in der Interpretation der Beziehung zwischen Tier und Enthemmungsring und in der Untersuchung des Wesens dieser Beziehung weicht Heidegger von seinem Vor­bild ab, um eine Strategie zu erarbeiten, in welcher das Ver­ständnis von Weltarmut und menschlicher Welt parallel vor­anschreitet. Das Wesen des Tieres, das seine Beziehung zum Enthem­menden definiert, ist seine Benommenheit. Heidegger spielt hier mit einer wiederholten etymologischen Figur auf die Ver­wandtschaft der Begriffe benommen, eingenommen und Be­nehmen an, die alle auf das Verb nehmen verweisen (aus der indoeuropäischen Wurzel *nem mit den Bedeutungen von ,teilen', ,zuteilen'). Insofern das Tier grundlegend benommen und vollständig eingenommen vom eigenen Enthemmenden ist, kann es nicht wirklich handeln oder sich ihm gegenüber verhalten. Es kann sich nur benehmen.  

"Das Benehmen als Seinsart überhaupt ist nur möglich aufgrund der Eingenommenheit des Tieres in sich. Wir kennzeichnen das spezifi­sche tierische Bei-sich-sein, das nichts von einer Selbstheit des sich verhaltenden Menschen als Person hat, diese Eingenommenheit des Tieres in sich, darin alles und jedes Benehmen möglich ist, als Be­nommenheit. Nur sofern das Tier seinem Wesen nach benommen ist, kann es sich benehmen. [...] Die Benommenheit ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß das Tier seinem Wesen nach in einer Um­gehung sich benimmt, aber nie in einer Welt." (Ebd., S. 347f.)  

Als anschauliches Beispiel der Benommenheit, die sich nie auf eine Welt hin öffnen kann, erwähnt Heidegger ein bereits von Uexküll beschriebenes Experiment, in welchem eine Biene im Laboratorium vor eine Schale voller Honig gehalten wird. Wenn man der Biene, nachdem sie zu saugen begonnen hat, den Hinterleib abtrennt, fährt sie ruhig fort zu saugen, während der Honig aus dem offenen Hinterleib heraus­fließt. "Das zeigt aber schlagend, daß die Biene in keiner Weise das Zuviel­vorhandensein von Honig feststellt. Sie stellt weder dieses fest noch auch nur - was noch näher läge - das Fehlen ihres Hinterleibes. Von all dem ist keine Rede, sondern sie treibt ihr Treiben weiter, gerade weil sie nicht feststellt, daß immer noch Honig vorhanden ist. Sie ist vielmehr einfach von dem Futter hingenommen. Diese Hingenommenheit ist nur möglich, wo triebhaftes Hin-zu vorliegt. Diese Hingenommenheit in dieser Getriebenheit schließt aber zugleich die Möglichkeit einer Feststellung des Vorhandenseins aus. Gerade die Hingenommenheit vom Futter verwehrt dem Tier, sich dem Futter gegenüberzustellen." (Ebd., S. 352f.)   An dieser Stelle fragt Heidegger über das Wesen der Öffnung der Benommenheit selbst weiter und beginnt so, die Bezie­hung zwischen Mensch und Tier fast wie eine Hohlform zu skizzieren. Auf was hin ist die Biene geöffnet, was kennt das Tier, wenn es zum Enthemmenden in Beziehung tritt? Heidegger hält fest, gleichsam mit den Komposita des Verbs nehmen weiterspielend, daß man hier kein Vernehmen vorfindet, sondern nur ein instinktives Benehmen, insofern dem Tier "die Möglichkeit des Vernehmens von etwas als et­was genommen ist, und zwar nicht jetzt und hier, sondern ge­nommen im Sinne des »überhaupt nicht gegebem" (ebd., S. 360). Das Tier ist insofern benommen, als ihm diese Mög­lichkeit radikal genommen worden ist.  

"Benommenheit des Tieres besagt also einmal: wesenhafte Genommenheit jeglichen Vernehmens von etwas als etwas, sodann: bei sol­cher Genommenheit gerade eine Hingenommenheit durch ... Be­nommenheit des Tieres kennzeichnet also einmal die Seinsart, gemäß der dem Tier in seinem Sichbeziehen auf anderes die Möglichkeit ge­nommen ist oder, wie wir sprachlich auch sagen, benommen ist, sich dazu, zu diesem anderen, als dem und dem überhaupt, als einem Vor­handenen, als einem Seienden, zu verhalten und sich darauf zu bezie­hen. Und gerade weil dem Tier diese Möglichkeit, das, worauf es sich das Sich-nicht-Einlassen-auf... ist ein Offensein vorausgesetzt. In all dem liegt: Bei der Weltlosigkeit des Steins fehlt sogar auch die Be­dingung der Möglichkeit der Weltarmut. Diese innere Möglichkeit der Weltarmut - ein konstitutives Moment dieser Möglichkeit - ist das triebhafte Offensein der benehmenden Hingenommenheit. Die­ses Offensein besitzt das Tier in seinem Wesen. Das Offensein in der Benommenheit ist wesenhafte Habe des Tieres. Aufgrund dieser Habe kann es entbehren, arm sein, in seinem Sein durch Armut be­stimmt sein. Dieses Haben ist freilich kein Haben von Welt, sondern das Hingenommensein an den Enthemmungsring - ein Haben des Enthemmenden. Aber weil dieses Haben das Offensein für das Ent­hemmende ist, diesem Offensein-für jedoch gerade die Möglichkeit des Offenbarhabens des Enthemmenden als Seiendem genommen ist, deshalb ist diese Habe des Offenseins ein Nichthaben, und zwar ein Nichthaben von Welt, wenn anders zur Welt Offenbarkeit von Seiendem als solchem gehört." (Ebd., S. 391 f.)  

Aus: Giorgio Agamben, "Weltarmut", in: G.A., Das Offene. Der Mensch und das Tier, Frankfurt 2003, S. 57-64 Neuer Absatz

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Tiere haben Verstand - Gryllos   [Odysseus im Gespräch mit der Zauberin Kirke (vgl. Odyssee 10), die seine Gefährten in Schweine verwandelt hat.]  

1. Odysseus: Was wir bisher besprochen haben, meine liebe Kirke, das habe ich, glaub ich, verstanden und werde es wohl auch behalten. Nun würde ich gern noch von dir erfahren, ob da auch Griechen unter den Leuten sind, die du aus Menschen in Wölfe und Löwen verwandelt hast. kirke: O ja, sehr viele, mein liebster Odysseus. Aber war­um fragst du das? odysseus: Weil es mir doch wahrlich unter den Griechen Ruhm und Ehren bringen würde, wenn ich durch deine Gunst diese meine Kameraden wieder zu Menschen machen könnte. Und wenn ich es nicht zuließe, dass sie ihrer Natur zuwider im Körper von Tieren stecken und bis zum Alter in einer so elen­den und schimpflichen Existenz dahinvegetieren. kirke: Da hört euch den Mann an! In seiner Torheit meint er, seine Ruhmesbegierde müsse nicht nur ihm und seinen Ge­fährten, sondern auch Leuten, die ihn gar nichts angehen, zum Unglück gereichen! odysseus: Einen neuen Zaubertrank mischst du mir, Kir­ke, diesmal mit Worten, mit denen du mich verwirrst und ver­nebelst: Du würdest mich ja sicher schon dadurch zum Tier machen, wenn ich es mir von dir einreden ließe, es wäre ein Unglück, wenn einer aus einem Tier ein Mensch würde! kirke: Hast du nicht selbst schon ganz andere Verwand­lungskünste durchgespielt, da du das unsterbliche, nie altern­de Leben mit mir verschmäht hast112 und zu einer sterblichen Frau hinstrebst - die jetzt, das kann ich dir sagen, schon eine alte Frau ist - durch tausend Nöte und Gefahren, nur um da­durch noch mehr bewundert und gepriesen zu werden, als du es jetzt schon bist. Jagst du damit nicht einem leeren Schatten­bild nach statt eines wahren Glücks?     112 In der Odyssee ist es Kalypso. Odysseus lehnt das Leben mit ihr ab und will nach Ithaka zu Penelope zurückkehren (Odyssee 5,203 ff.)   Odysseus: Na gut, lass es sein, wie du willst, Kirke - was sollen wir uns immer wieder um dieselben Dinge streiten? Aber lass diese Männer frei - tu es mir zuliebe. KIRKE: Das geht nicht so einfach, bei Hekate." Das sind ja keine Leute, über die man so einfach verfügen kann. Aber frag du sie zuerst, ob sie überhaupt wollen. Sagen sie nein, dann musst du mit ihnen diskutieren, du großer Redeheros, und sie überreden. Falls du sie nicht überzeugst und sie besiegen viel­mehr dich in der Diskussion, dann musst du dir eingestehen, dass du, was dich und deine Freunde angeht, die schlechteren Argumente gehabt hast. Odysseus: Du machst dich über mich lustig, selige Göttin. Wie könnten sie denn mir Rede und Antwort stehen, solange sie Esel oder Schweine oder Löwen sind? KIRKE: Keine Angst, du Ruhmsüchtigster von allen. Ich will sie dir so vorführen, dass sie dich verstehen und mit dir reden können. Noch besser: Einer wird doch genug sein, der dir im Namen aller Rede steht. Da, sprich doch mit diesem [einem Schwein]! Odysseus: Aber wie soll ich ihn denn anreden, Kirke - wer war er denn unter den Menschen? kirke: Das ist doch egal. Nenne ihn Gryllos [Grunzer], wenn du willst. Ich lasse euch jetzt allein, damit es nicht so aussieht, als spräche er mir zuliebe gegen seine Überzeugung.
2. GRYLLOS: Hallo, Odysseus! Odysseus: Hallo, Gryllos, wie geht's?
Gryllos: Was möchtest du denn fragen?
ODYSSEUS: Ich weiß, dass ihr Menschen gewesen seid, und ich bemitleide euch alle, die ihr in diesem Zustand seid, aber natürlich tut ihr mir vor allem leid, die ihr Griechen wart und nun in dieses Elend geraten seid. So habe ich nun Kirke darum gebeten, jeden von euch, der will, zu befreien und wieder in seine frühere Gestalt zurückzuverwandeln und mit uns ziehen zu lassen. GRYLLOS: Stop, Odysseus - kein Wort mehr davon. Du im­ponierst uns allen hier gar nicht. Du galtest als ein wunder wie schlauer Mann, der die ganze Menschheit an Klugheit übertrifft." Aber das ganz zu Unrecht. Fürchtest du dich doch nun vor der Versetzung aus einem schlechten in einen besseren Zustand - und das kapierst du nicht. Gerade wie Kinder sich vor den Arzneien der Ärzte scheuen und vor ihren Schulstun­den Reißaus nehmen - was beides sie doch aus kranken und törichten Geschöpfen zu gesünderen und vernünftigeren ma­chen würde -, gerade so sträubst du dich davor, ein anderer zu sein. Nun aber bist du nur mit Zittern und Zagen mit Kirke zusammen und hast Angst, sie würde dich unversehens in ein Schwein oder einen Wolf verwandeln. Und du willst uns, die wir hier in reichstem Überfluss leben, überreden, das alles auf­zugeben und mitsamt den guten Gaben auch ihre Spenderin zu verlassen und mit dir auf und davon zu gehen - wieder zu Menschen geworden, diesen mühseligsten aller Geschöpfe! Odysseus: Du scheinst mir, mein lieber Gryllos, mit die­sem Zaubertrank nicht nur die Gestalt, sondern auch den Ver­stand verloren zu haben und dafür mit widersinnigen und total abwegigen Vorstellungen angesteckt zu sein. Oder hast du von jeher Freude an dieser säuischen Lebensweise gehabt, und das hält dich an diesen Körper gebannt? gryllos: Nichts davon, o König der Kephallenier." Willst du aber lieber diskutieren als diffamieren, dann werde ich dich rasch überzeugen, dass wir ganz mit Recht diesen Zustand dem früheren vorziehen - wir kennen ja schließlich beide Le­bensformen. Odysseus: Also los, ich bin begierig, dich zu hören.  
3. Gryllos: Und ich, mit dir zu reden. Wir sollten mit den Tugenden anfangen, auf die ihr, wie wir sehen, euch so viel einbildet - als ob ihr die Tiere an Gerechtigkeit, Klugheit, Tap­ferkeit und allen anderen Tugenden weit übertreffen würdet. Jetzt gib mir Antwort, du weisester aller Männer! Ich hörte dich einmal, wie du Kirke vom Land der Kyklopen erzählt hast. Obwohl man dort gar nicht pflügt und sät, ist es von Natur aus so fruchtbar und ergiebig, dass es von selbst alle Ar­ten von Früchten hervorbringt. Welches Land schätzt du nun höher ein, dieses oder das steinige Ithaka, das nur Ziegen nährt und den Bauern für ihre viele Arbeit und große Anstrengung nur mageren und kümmerlichen Ertrag bringt, kaum der Mühe wert? Aber werde mir nicht böse, wenn du dich aus patrioti­schen Gefühlen verpflichtet fühlst, eine Antwort zu geben, die gegen die augenscheinliche Wirklichkeit spricht. ODYSSEUS: Ich habe keinen Grund zu lügen. Freilich schät­ze und liebe ich vor allem mein Vaterland und meinen Heimat­boden, das andere Land aber muss ich loben und bewundern. gryllos: Da haben wir also folgendes festgestellt: Der wei­seste aller Menschen ist der Ansicht, man könne das eine rüh­men und billigen, ein anderes aber wählen und lieben. Du hast damit aber auch, so will ich einmal annehmen, eine Antwort über die Seele gegeben. Das gleiche gilt für sie wie für das Land. Die bessere ist diejenige, welche die Tugend ohne Bearbeitung als eine spontan wachsende Frucht hervorbringt. ODYSSEUS: Ja, auch das will ich dir zugeben. gryllos: Damit gibst du auch zu, dass die Seele von Tieren für die Ausübung der Tugend von Natur aus besser geartet und vollkommener ist. Denn ohne Geheiß und Belehrung - wie das unbesäte und ungepflügte Land - bringt die Seele des Tie­res von Natur aus die Tugend hervor und lässt sie wachsen, wie sie für jede Kreatur passend ist.
Odysseus: Und was soll das für eine Tugend sein, Gryllos, die Tiere haben?  
4. Gryllos: Welche Tugend, müsste man fragen, findet sich bei ihnen nicht noch viel mehr als beim weisesten aller Menschen? Betrachte nur bitte zuerst die Tapferkeit, auf die du so stolz bist, dass du dich nicht schämst, ein tollkühner Drauf­gänger und der Städtezerstörer genannt zu werden. Dabei hast du Spitzbube nur durch Lug und Trug Menschen vernichtet," die nur eine geradlinige und ehrliche Kriegführung kannten und nichts wussten von betrügerischen Machenschaften. Dei­ne skrupellose Tücke hast du nun glorifiziert mit dem Namen der Tugend - die doch mit solch ränkevoller Schlauheit ganz und gar nichts gemein hat. Die Kämpfe der Tiere untereinan­der wie auch gegen euch Menschen sind frei von aller List und allen Tricks. Offen und frei vertrauen sie bloß auf ihre angebo­rene Kraft, wenn sie sich zur Wehr setzen. Kein Gesetz ruft sie dazu auf, sie fürchten sich nicht vor der Strafe für Deserteure. Ihrer Natur nach scheuen sie sich vor dem Unterliegen, daher halten sie aus bis zum Äußersten und bewahren ihren Kampf­geist unerschütterlich. Denn wenn sie auch ihren Körperkräf­ten nach überwunden sind, geben sie sich nicht besiegt, son­dern kämpfen bis zu ihrem letzten Atemzug. Oft kommt es vor, dass sich bei sterbenden Tieren die Kampfeswut in ein Glied des Körpers zurückzieht und sich dort konzentriert, dem Mörder widersteht in wilder und grimmiger Bewegung, bis sie so wie ein Feuer schließlich ganz schwindet und ver­löscht. Bei Tieren gibt es auch kein Bitten und Flehen um Pardon oder ein Eingeständnis der Niederlage. Kein Löwe wird aus Feigheit Sklave eines Löwen, kein Pferd Knecht eines anderen so wie ein Mensch, der sich bereitwillig mit der Knechtschaft abfindet, deren Name ja mit dem der Feigheit verbunden ist. Wurden Tiere durch Fallen gefangen, dann weisen die schon erwachsenen jede Nahrung zurück, halten den Durst aus, weil sie lieber tot als in Knechtschaft sein wollen. Die Jungen aber, die noch klein oder nicht flügge sind und eben wegen ihres Al­ters noch zart und leicht beeinflussbar sind, werden durch al­lerlei betrügerische Lockmittel und Spielereien kirre gemacht und gewöhnt an unnatürliche Genüsse und Lebensweisen, bis sie mit der Zeit so saft- und kraftlos sind, dass sie sich die soge­nannte Domestikation geduldig gefallen lassen - dabei werden sie nur verweichlicht und ihres natürlichen Elans beraubt. All dies zeigt klar genug, dass die Tiere von Natur aus mit Kühnheit und Tapferkeit ausreichend begabt sind. Beim Men­schen ist diese Art von Herzhaftigkeit eher nicht von Natur aus gegeben. Das kannst du, Odysseus, mein Bester, klar aus fol­gendem erkennen: Bei den Tieren ist Kraft und Stärke gleich­mäßig auf beide Geschlechter verteilt. Das weibliche gibt dem männlichen nichts nach, weder in den Mühen um den Lebens­unterhalt noch bei der Verteidigung ihrer Jungen. Du hast doch sicher schon von der Sau von Krommyon gehört, die, obwohl von weiblichem Geschlecht, dem Theseus ziemliche Mühe gemacht hat. Und die berühmte Sphinx hätte nichts gehabt von ihrer Ranküne, als sie da auf dem Berg Phikion bei Theben saß und Rätsel und Verwirrsprüche ersann, wenn sie nicht mit ihrer Stärke und Kühnheit die Thebaner in ihrer Gewalt gehabt hätte. Dort in der Gegend lebte auch der Teumessische Fuchs, eine Füchsin, ein schreckliches Untier, und nahe da­bei soll auch die Pythonschlange gehaust haben, die sich mit Apollon einen Kampf lieferte um den Orakelsitz von Del­phi. Die Stute Aithe nahm euer König [Agamemnon] von dem Herrscher von Sikyon an, der sich damit von der Teilnah­me am Feldzug gegen Troja freikaufte. Agamemnon tat klug daran: Er zog einem feigen Mann ein tüchtiges, sieggewohntes Pferd vor. Du selbst hast sicher schon öfters gesehen, wie bei Panthern und Löwen die weiblichen Tiere den männlichen an Mut und Stärke keineswegs nachstehen. Aber deine Frau - während du fort bist im Krieg, sitzt sie zu Hause hinterm Ofen und macht es nicht einmal so wie die Schwalben, dass sie die abwehrt, die es auf sie und ihr Haus abgesehen haben. Und das obwohl sie doch eine Spartanerin ist. Was soll ich da noch von Frauen in so verweichlichten Ländern wie Karien oder Maeonien [in Kleinasien] erzählen? Aus dem bisher Gesagten geht schon zur Genüge hervor, dass den Männern die Tapferkeit [als allgemein menschliche Tugend] nicht einfach von der Natur mitgegeben worden ist. Sonst müssten auch die Frauen ein gleiches Maß an Tapferkeit besitzen. Demnach ist eure Tapferkeit eine Folge des Zwangs der Gesetze, kein freiwilliger Entschluss. In sklavischer Unter­werfung unter Konventionen, Kritik und die Vorurteile und Meinungen anderer übt ihr eure sogenannte Mannhaftigkeit aus. Und wenn ihr Gefahren auf euch nehmt, dann nicht, weil ihr sie mit Bravour bestehen wollt, sondern weil ihr euch noch mehr davor fürchtet, was sonst passieren würde. Es ist gerade so, wie wenn einer eurer Kameraden als erster aufs Schiff kommt und sich gleich an das leichte Ruder stellt, nicht weil er sich nichts dabei denkt, sondern weil er das schwerere fürchtet und vermeiden möchte. So ist derjenige, der Schläge aushält, um keine Wunden zu bekommen und sich gegen den Feind wehrt, um Martern oder dem Tod zu entgehen [bei Desertion], nicht beherzt und tapfer gegenüber der einen, sondern feige gegenüber der anderen Möglichkeit. So ist es klar, dass eure Mannhaftigkeit eine kalkulierte Feigheit ist, und all euer Mut eigentlich nur Furcht, die euch das eine wählen lässt, um dem anderen zu entgehen. Und überhaupt: Wenn ihr glaubt, dass ihr Menschen in der Tapferkeit den Vorrang besitzt gegenüber den Tieren - warum nennen dann eure Dichter die tapfersten Krieger wölfisch gesinnt, löwenmutig und einem Eber gleich an Stärke? Keiner bezeichnet den Löwen als männermutig oder den Eber dem Mann gleich an Stärke. Aber so wie sie in dichterischer Übertreibung die Schnellen windsfüßig nennen und die Schönen göttergleich, so nehmen sie hier, denke ich, auch den Vergleichsmaßstab für tapfere Kämpfer aus einer höheren Ebene. Der Grund dafür: Der Mut ist es, der die Tap­ferkeit stählt und härtet, und dieser kämpferische Elan, den die Tiere im Kampf beweisen, ist rein und unvermischt, bei euch Menschen aber durch Überlegung verdünnt - da ist Wasser in den Wein gegossen, deswegen lässt dieser Mut seinen Mann angesichts von Gefahren im Stich und verpasst den günstigen Zeitpunkt. Einige unter euch behaupten sogar, man dürfe den Mut - gemeint ist die zornige Erregung - im Kampf ganz und gar beiseitelassen und ohne ihn nur die nüchterne Überlegung walten lassen. Da haben sie schon recht, was die Selbst­erhaltung betrifft, aber wenn es um Stärke und Gegenwehr geht, ist das eine äußerst schmähliche Auffassung. Oder ist das nicht ein Widerspruch: Einerseits beklagt ihr Menschen euch bei der Natur, dass sie eure Körper nicht mit Stacheln, Hauern oder scharfen Klauen ausgestattet hat, andererseits aber beraubt ihr selbst eure Seele ihrer angeborenen Waffe oder stumpft sie ab.   5. Odysseus: Meine Güte, Gryllos, du scheinst mir ein rechter übergescheiter Philosoph gewesen zu sein, wenn du auch jetzt noch aus deiner Schweinsnatur heraus deine Ansich­ten mit jugendlichem Feuer zu verfechten weißt. Doch warum hast du nicht auch die Selbstbeherrschung und Mäßigung als nächste Tugend mit abgehandelt?
GRYLLOS: Weil ich annahm, du würdest zunächst deine Einwände gegen meine Rede Vorbringen wollen. Aber nun kannst du es gar nicht abwarten, etwas über Selbstbeherr­schung und Enthaltsamkeit zu hören - du bist ja der Ehemann eines Musters an keuscher Selbstbeherrschung und glaubst, selbst eine Probe davon abgelegt zu haben, als du Kirkes eroti­sche Avancen zurückgewiesen hast. Aber auch darin bist du keineswegs besser als die Tiere. Auch sie haben keinerlei Nei­gung, sich mit höheren Wesen zu verbinden, sondern suchen die Liebesfreuden nur bei ihresgleichen. So ist deine Haltung durchaus nichts Bewundernswertes. Da gibt es ja die Ge­schichte von dem Ziegenbock aus Mendes in Ägypten, der mit vielen schönen Frauen eingeschlossen ist, aber keine Neigung hat, sich mit ihnen zu paaren; sein leidenschaftliches Verlan­gen richtet sich vielmehr auf Ziegen. Gerade so ist es auch bei dir: Du bist glücklich und zufrieden mit deinen gewohnten Liebesfreuden und willst nicht als Sterblicher mit einer Göttin schlafen. Was aber die Keuschheit der Penelope angeht - zahl­lose krächzende Krähen würden darüber lachen und spotten. Jeder weibliche Rabenvögel bleibt Witwe, wenn der Partner gestorben ist, und zwar nicht nur für kurze Zeit, sondern neun Menschenalter lang. So bleibt deine schöne Penelope an Keuschheit neunmal zurück hinter jeder beliebigen Krähe.
6. Doch da es dir nicht entgangen ist, dass ich ein Sophist bin, erlaube mir auch, dass ich meinem Vortrag eine bestimmte Einteilung gebe, indem ich zunächst den Begriff Enthaltsamkeit [sophrosyne] definiere und dann die einzelnen Begierden ana­lysiere. Enthaltsamkeit ist eine gewisse Einschränkung und Re­gelung der Begierden. Es geht darum, die unnatürlichen und überflüssigen auszumerzen, die notwendigen und naturge­mäßen aber auf das rechte Maß und den rechten Zeitpunkt zu reduzieren. Du kannst sehen, dass es unzählige verschiedene Einteilungen der Begierden gibt. Das Verlangen nach Essen und Trinken ist zugleich natürlich und notwendig. Das sexuelle Be­gehren ist zwar ursprünglich von der Natur gegeben, doch kann man auch auskommen, ohne ihm nachzugeben; daher nennt man diese Begierden natürliche, aber nicht notwendige. Dann gibt es noch eine weitere Kategorie: die weder notwendigen noch natürlichen. Die haben sich wie eine Schlammflut von außen her ergossen - durch leere Einbildungen und einen Man­gel an wahrer Kultur. Und sie haben bei euch Menschen eine sol­che Überzahl gewonnen, dass sie die natürlichen Bedürfnisse fast gänzlich verdrängt haben - so, als ob in einem Staat eine in­vasion von fremden Eindringlingen die angestammten Bürger überwältigt habe. Die Seelen der Tiere sind dafür jedoch gänz­lich unzugänglich und haben sich von fremden Einflüssen fern­gehalten. Sie leben weiterhin nach ihrer Art, ohne irgendwel­chen extravaganten Moden nachzulaufen, wie Siedler, die sich sicherheitshalber weit vom Meer niedergelassen haben. Was so die feine, luxuriöse Lebensart angeht, da können sie freilich mit euch nicht mithalten, sie bewahren aber strikt ihre Selbstbe­herrschung und halten ihre Begierden unter Kontrolle; es sind nicht viele und nur ihnen eigene, aber keine wesensfremden. Auch ich ließ mich früher einmal beeindrucken - so wie du heute noch - vom Gold: Es schien mir ein unvergleichlicher Besitz. Auch Silber und Elfenbein reizten mich, und einer, der davon die größte Menge besaß, der war für mich ein Glücks­kind, ein Liebling der Erdenwinkel kommen, noch niederträchtiger als Dolon oder unglückseliger als Priamos. So war ich damals beständig an meine Begierden gefesselt und konnte daher keine Freude, kein Vergnügen finden an den anderen Gütern, obwohl ich von denen so viel besaß, dass es für alles ausreichte. Ich war unzufrieden mit meinem Leben, als wäre ich ein armer Mann und bei der Verteilung der höchsten Güter leer ausgegangen. Daher erinnere ich mich noch daran, als ich dich damals in Kre­ta sah in einem festlichen, reich verzierten Gewand - da habe ich nicht deine Klugheit bewundert, nicht deine heldenhafte Tugend, sondern den überaus fein gewebten Stoff deines Ge­wandes und den prächtigen, eleganten Purpurmantel - das gaffte ich an. Der Mantel hatte eine goldene Spange, darauf war eine Jagdszene, glaube ich, in feinster Arbeit eingraviert. Und ich folgte dir ganz bezaubert, wie Frauen, wenn sie so et­was betrachten. Aber jetzt bin ich geläutert und frei von sol­chen nichtigen Vorstellungen und gehe an Gold und Silber so gleichgültig vorbei wie an irgendwelchen Steinen. Und auf dei­nen Prachtgewändern und Teppichen würde ich bei Gott kein bisschen sanfter ausruhen, wenn ich satt bin und mich nieder­lege, als in tiefem und weichem Schlamm. Von solchen Luxus­bedürfnissen hat keine einen Platz in unseren Seelen. Unser Leben ist zum großen Teil bestimmt von den notwendigen Begierden und Freuden, und denen, die nicht notwendig, aber natürlich sind, gehen wir nie in ungeregelter und maßloser Weise nach.  
7. Diese wollen wir nun zuerst beschreiben. Unser Vergnü­gen an wohlriechenden Substanzen, die durch ihre Düfte den Geruchssinn stimulieren, hat - außer dass dieses unser Ver­gnügen einfach zu haben ist und nichts kostet - auch noch den Nutzen, dass wir die Nahrung nach gut oder schlecht unter­scheiden können. Denn die Zunge ist und heißt der Anzeiger für Süßes, Saures und Bitteres, sobald die Säfte sich auflösen und in Kontakt mit dem Geschmacksorgan kommen. Unser Geruchssinn erkennt aber schon, bevor wir gekostet haben, die Qualität jedes Nahrungsstoffes und ist ein weitaus genaue­rer Beurteiler als die Vorkoster an der königlichen Tafel. Dieser Geruchssinn lässt das ein, was gesund ist, weist aber alles Schädliche ab und lässt nicht zu, dass wir es berühren oder den Gaumen dadurch verletzen. Er mahnt und warnt vor dem Schaden, bevor dieser eintreten kann. Dazu kommt noch, dass wir für die Geruchsstoffe keinen Aufwand zu betreiben haben. Ihr müsst ja Räucherwerk, Zimt, Narde, indische Blätter, arabi­sche Kräuter haben - und das alles mit Hilfe eines aufwendigen Alchimistenlabors oder eher einer Hexenküche, was ihr eine Duft- und Salbenapotheke, eine Parfümerie nennt, zusam­menmischen und einkochen. Und so gebt ihr eine riesige Men­ge Geld aus, um euch einen teuren Luxus zu erkaufen; nichts für Männer, eher Weiberkram und auf jeden Fall ganz ohne praktischen Nutzen. Aber ungeachtet all dessen hat dieser Lu­xus nicht nur die Frauen samt und sonders angesteckt, sondern schließlich auch die meisten Männer, und das geht so weit, dass sie nicht mehr mit ihren Frauen ins Bett gehen wollen, wenn diese nicht nach einem ganzen Parfümerieladen duften. Dagegen locken die Schweine die Eber, die Ziegen die Böcke und alle weiblichen Tiere ihre Partner nur durch ihren eigenen Geruch an. Duftend von reinem Tau, dem Geruch der Wiesen und des jungen Grüns, paaren sie sich in gegenseitiger Zunei­gung. Die weiblichen Partner tun nicht spröde und verstecken ihre Neigung nicht mit allerlei Hinhaltetaktiken, und die Män­ner, die die Begierde treibt, erkaufen sich den Zeugungsakt nicht mit Geld, Mühe und Dienstleistungen. Sie finden ihren Liebesgenuss zur bestimmten Zeit, ohne Trug und ohne Be­zahlung, dann wenn die Jahreszeit die Begierde der Tiere wie auch das Keimen der Pflanzen weckt und diesen Trieb dann wieder erlöschen lässt. Das Weibchen lässt das Männchen nicht mehr zu, wenn es befruchtet ist, und das Männchen macht auch keinen weiteren Versuch. So wenig Wert messen wir der sexuellen Lust bei - alles richtet sich nach der Natur. Aus die­sem Grund haben die Begierden der Tiere bis jetzt auch noch nicht zu sexuellen Beziehungen von Mann zu Mann und Frau zu Frau geführt. Bei euch gibt es ja jede Menge von derarti­gen Beziehungen in den höchsten Kreisen, von den unteren Schichten gar nicht zu reden. Da zog doch Agamemnon durch ganz Böotien, auf der Jagd nach seinem entflohenen Liebling Argynnos und beschuldigte dann fälschlich das Meer und die Winde. Schließlich hatte er die glorreiche Idee, im Kopaissee zu baden, um darin sein Liebesfeuer zu löschen und von der Leidenschaft frei zu werden. Ähnlich war es auch bei Hera­kles: Er suchte nach seinem Gefährten, einem bartlosen Bur­schen, ließ die tapferen Helden zurück und desertierte vom Ar­gonautenzug. Im Kuppelgewölbe des Tempels des Apollon Ptoios hat einer von euch heimlich die Verse an die Wand geschrieben: "Achilleus ist schön" - dabei hatte Achilleus doch schon einen Sohn. Die Inschrift ist, wie ich erfahren ha­be, immer noch dort. Wenn ein Hahn einen Hahn besteigt, weil keine Henne da ist, dann wird er lebendig verbrannt, weil ein Wahrsager oder Zeichendeuter diesen Fall für ein bedeut­sames, Unheil verkündendes Vorzeichen erklärt. So geben die Menschen selber zu, dass die Tiere in der Selbstbeherrschung eher den Vorzug haben und in ihren Begierden gewöhnlich nicht wider die Natur handeln. Euer zügelloses Treiben kann die Natur, selbst wenn sie vom Gesetz unterstützt wird, nicht in Schranken halten, und wie von einem reißenden Strom fort­gerissen, tut ihr mit eurer Geilheit der Natur Gewalt an und richtet Verwirrung und eine Zerstörung ihrer Ordnung an. Da haben sich ja Männer mit Ziegen, Schweinen und Pferden ab­gegeben, und Frauen gerieten in sexuelle Ekstase bei männli­chen Tieren. Aus solchen Paarungen sind bei euch der Minotauros, der ziegenfüßige Pan, und, wie ich vermute, auch die Sphingen und die Kentauren entstanden. Es hat vielleicht ein­mal aus Hunger ein Hund von einem menschlichen Körper gefressen oder ein Vogel in einer Notlage von Menschenfleisch gekostet, aber kein Tier hat jemals einen Menschen als Sexual­objekt gebraucht. Menschen aber missbrauchen Tiere, unter Zwang und widernatürlich, zu vielerlei Arten von sexuellem Verkehr.  
8. So lasterhaft und zügellos verhalten sich die Menschen, was die Begierden angeht, von denen ich gesprochen habe. Doch es lässt sich nachweisen, dass sie, was die notwendigen Bedürfnisse angeht, den Tieren an Mäßigkeit und Enthaltsamkeit noch weit mehr nachstehen. Das sind die Bedürfnisse, die sich auf Essen und Trinken beziehen. Wir Tiere suchen den Genuss nur in Verbindung mit dem Nutzen; ihr aber seid mehr auf Genuss aus als auf das natürliche Maß an Nahrung und werdet dafür bestraft durch eine Menge schwerer Krankheiten, die alle aus einer Quelle entspringen, der Überladung des Kör­pers, und euch mit allerhand Arten von Aufgeblähtsein anfül­len, die schwer zu kurieren sind. Es ist grundsätzlich so, dass jede Tiergattung eine spezifische Nahrung hat, entweder Gras oder Wurzeln und Früchte. Die fleischfressenden Tiere suchen keine andere Art von Futter und nehmen nicht den schwäche­ren ihre Nahrung weg, der Löwe lässt den Hirsch, der Wolf das Schaf dort weiden, wo es von Natur aus seinen Platz hat. Der Mensch aber in seiner unersättlichen Genusssucht will alles versuchen und kosten, als ob er noch nicht herausgefunden hätte, was ihm zuträglich und angemessen ist. So ist er von sämtlichen Kreaturen der einzige Allesfresser. Er verzehrt Fleisch, aber nicht aus Mangel oder Not - das bleibt als erstes festzuhalten -, denn er hat zu jeder Zeit im Jahr einen so rei­chen Vorrat an Pflanzen, Samen und Früchten, den er nachein­ander pflückt und schneidet, so dass ihm bei dieser überrei­chen Ernte geradezu die Arme lahm werden. Doch seine Gier nach Genüssen führt ihn immer wieder zur Übersättigung und zum Überdruss an den normalen Lebensmitteln, und so sucht er unnatürliche Speisen, verunreinigt durch das Geschlachtete von Tieren und zeigt sich damit weitaus grausamer als die wildesten Raubtiere. Denn Blut, Getötetes und Fleisch sind für Raubvögel, Wölfe und Schlangen die übliche Nahrung - für den Menschen ist es nur Zukost, ein Appetithappen. Außer­dem isst er das Fleisch von allen Tierarten; er macht es nicht wie die Raubtiere, die zu ihrer Ernährung nur einigen wenigen Gattungen nachstellen, die meisten aber in Ruhe lassen. Nein - nichts, was da kreucht und fleucht, schwimmt oder auf dem Land lebt, kann eurer sogenannten feinen Küche und eurer gastfreien Tafel entrinnen.
9. Nun gut. Ihr gebraucht die Tiere als Appetithappen, um eure normale Kost damit anzureichern. Aber warum musstet ihr deshalb gleich eine neue Wissenschaft erfinden, die Koch­kunst? Die Intelligenz der Tiere aber will nichts zu tun haben mit nutz- und zwecklosen Künsten. Die naturnotwendigen besitzen sie, ohne sie von anderen übernommen oder gegen Lohn erlernt zu haben und ohne dass sie es nötig haben, mit kleinlichem Fleiß eine Reihe von Lehrsätzen zusammenzu­stoppeln und für jeden Bereich einen eigenen Spezialisten aus­zubilden. Die Tiere haben das erforderliche Wissen von Haus aus und können es sogleich anwenden. Wir haben gehört, dass in Ägypten jedermann ein Arzt ist. Von den Tieren aber ist jedes nicht nur ein Experte in der Heilkunst, sondern auch für den Lebensunterhalt, zur Übung seiner Kräfte, zur Jagd, zum Schutz vor Gefahren und sogar für die Musik, soweit je­des Tier von Natur aus dazu ein Talent besitzt. Von wem hät­ten wir Schweine es denn gelernt, wenn wir krank sind, an die Flüsse zu gehen, um Krebse zu fangen? Wer hat die Schildkrö­ten gelehrt, Oregano [Wilder Majoran] zu essen, wenn sie von einer Schlange gefressen haben? Wer lehrte die wilden Ziegen auf Kreta, wenn sie von Pfeilen getroffen sind, Diktam aufzu­spüren: Wenn sie davon gefressen haben, treiben sie sich die Pfeilspitzen aus dem Körper. Wenn du sagst, was die Wahrheit ist, die Natur sei ihre Lehrerin, dann führst du die Intelligenz der Tiere auf das höchste Prinzip und die Quelle aller Weisheit zurück. Glaubt ihr aber, diese Gabe der Tiere weder Vernunft noch Einsicht nennen zu können, dann ist es Zeit, dass ihr euch nach einem schöneren und ehrenvolleren Namen umseht, wie ja ohne Zweifel diese Kraft Besseres und Bewundernswerteres hervorbringt [als die menschliche Intelligenz]. Denn die ver­standesmäßige Natur der Tiere ist nicht ungelehrig und un­erziehbar; sie lernt vielmehr aus sich selbst und genügt sich selbst, nicht aus Unvermögen, sondern gerade wegen der Kraft und Vollkommenheit ihrer natürlichen Anlage, die verzichten kann auf angelerntes Wissen. Was aber die Menschen zu ih­rem Amüsement oder zu Spiel und Sport den Tieren durch Lernen und Üben beizubringen suchen, das begreift ihre Ver­nunft dank ihrer großen Fassungskraft, und die Tiere lernen ihre Aufgaben, auch wenn sie von ihrem Körper her von Natur aus dafür gar nicht geeignet sind. Ich brauche nicht zu erwäh­nen, dass junge Hunde die Fährte aufnehmen, junge Pferde lernen, sich in einer bestimmten Gangart zu bewegen [als Passgänger], dass Raben sprechen und Hunde durch sich dre­hende Reifen springen. Pferde und Stiere legen sich im Zirkus nieder, tanzen oder nehmen bestimmte Stellungen ein oder machen Bewegungen, die selbst für Menschen nicht leicht so exakt darzustellen wären. Und sie lernen das alles und behal­ten es, was ein Beweis für ihre Gelehrigkeit ist, die für sie ja nicht den geringsten Nutzen hat. Wenn du nicht glaubst, dass wir Künste [und zwar nützliche] lernen, so höre nur, dass wir sie sogar lehren. Rebhühner lehren ihre Jungen bei Gefahr sich zu verbergen, indem sie sich auf den Rücken legen und mit den Füßen Erdschollen über sich halten. Und du siehst, wie auf den Dächern die erwachsenen Störche ihren Jungen bei ihren Flug­versuchen Hilfestellung leisten und sie anleiten. Die Nach­tigallen unterrichten ihre Jungen im Singen, und wenn diese jung gefangen und vom Menschen aufgezogen werden, singen sie schlechter, gerade als ob sie zu früh von ihren Lehrmeistern weggenommen worden wären. Seit ich in diesen Körper versetzt worden bin, kann ich mich nur wundern über diese Argumente, durch die ich mich von den schlauen Philosophen bereden ließ zu glauben, alle Lebe­wesen seien ohne Sinn und Verstand - außer dem Menschen.  
10. Odysseus: Aber jetzt hast du deine Meinung total geän­dert, mein lieber Gryllos, und hältst sogar Schafe und Esel für vernunftbegabt? gryllos: Gerade von diesen her, mein bester Odysseus, lässt sich ja der sicherste Beweis führen, dass Tiere von Natur aus nicht ohne Logik und Verstand sind. So wie ein Baum nicht mehr und nicht weniger Empfindung hat als ein anderer: sie haben nämlich alle kein Bewusstsein, so könnte doch sicher auch unter den Tieren nicht das eine stumpfsinniger oder we­niger lernfähig erscheinen als ein anderes, wenn man nicht voraussetzte, dass sie alle eine bestimmte Portion von Ver­nunft und Einsicht besäßen, nur eben einige mehr, andere we­niger. Bedenke nur, dass die Beschränktheit und Trägheit der einen erst durch die Schlauheit und die rasche Auffassungs­gabe der anderen demonstriert wird, wenn du zum Beispiel Esel und Schaf mit dem Fuchs und dem Wolf vergleichst. Das ist nicht viel anders, als wenn du den Riesen Polyphem mit dir selbst vergleichst oder den sprichwörtlichen Dummkopf Koroibos mit deinem oberschlauen Großvater Autolykos. Ich glaube jedenfalls, es ist bei Tieren wie bei Menschen ziemlich gleich: Es unterscheidet sich der eine vom andern, was Ver­stand, Urteils- und Erinnerungsvermögen angeht. Odysseus: Aber nun sieh doch, Gryllos: Ist es nicht ein bedenkliches und gewagtes Unternehmen, Lebewesen Vernunft zuzuerkennen, die keinen Begriff von Gott haben! GRYLLOS: Ei, mein lieber Odysseus - dann dürfen wir auch nicht behaupten, dass ein solcher Mann wie du, das Muster aller Klugheit, von einem Sisyphos abstammen könnte, der ja ganz ohne Götter auskam!  

Text in:
Plutarch. Darf man Tiere essen? Gedanken aus der Antike, aus d. Griech. v. Marion Geibel, Stuttgart 2015, S. 105-124 Neuer Absatz

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