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Der Seher Bileam (4.Mose 22,24) 1 Die Israeliten brachen auf und schlugen ihr Lager in den Steppen von Moab auf, jenseits des Jordan bei Jericho. 2 Balak, der Sohn Zippors, hatte gesehen, was Israel den Amoritern alles angetan hatte. 3 Moab erschrak sehr vor dem Volk (der Israeliten), weil es so groß war, und es packte ihn das Grauen vor den Israeliten. 4 Da sagte Moab zu den Ältesten von Midian: Jetzt wird uns dieser Haufen ringsum alles abfressen, wie die Rinder das Gras auf den Weiden abgrasen. Damals war Balak, der Sohn Zippors, König von Moab. 5 Er schickte Boten zu Bileam, dem Sohn Beors, nach Petor am Strom, ins Land seiner Stammesgenossen, um ihn rufen zu lassen. Er ließ ihm sagen: Aus Ägypten ist ein Volk herangezogen, das das ganze Land bedeckt und nun mir gegenüber sich niedergelassen hat. 6 Darum komm her und verfluch mir dieses Volk; denn es ist zu mächtig für mich. Vielleicht kann ich es dann schlagen und aus dem Land vertreiben. Ich weiß: Wen du segnest, der ist gesegnet; wen du verfluchst, der ist verflucht. 7 Die Ältesten von Moab und die Ältesten von Midian machten sich auf den Weg, mit Wahrsagerlohn in den Händen. Als sie zu Bileam kamen, wiederholten sie ihm die Worte Balaks. 8 Bileam sagte zu ihnen: Bleibt über Nacht hier, dann werde ich euch berichten, was der Herr zu mir sagt. Da blieben die Hofleute aus Moab bei Bileam. 9 Gott kam zu Bileam und fragte ihn: Wer sind die Männer, die bei dir wohnen? 10 Bileam antwortete Gott: Balak, der Sohn Zippors, der König von Moab, hat Boten zu mir geschickt und lässt mir sagen: 11 Das Volk, das aus Ägypten herangezogen ist, bedeckt das ganze Land. Darum komm und verwünsch es für mich! Vielleicht kann ich es dann im Kampf besiegen und vertreiben. 12 Gott antwortete Bileam: Geh nicht mit! Verfluch das Volk nicht; denn es ist gesegnet. 13 Am Morgen stand Bileam auf und sagte zu den Hofleuten Balaks: Kehrt in euer Land zurück; denn der Herr erlaubt mir nicht, mit euch zu gehen. 14 Da machten sich die Hofleute aus Moab auf den Weg und kehrten zu Balak zurück. Sie berichteten: Bileam hat sich geweigert, mit uns zu kommen. 15 Balak schickte noch einmal Hofleute aus, mehr und vornehmere als das erste Mal. 16 Sie kamen zu Bileam und sagten zu ihm: So sagt Balak, der Sohn Zippors: Lass dich nicht abhalten, zu mir zu kommen. 17 Ich will dir einen sehr hohen Lohn geben; alles, was du von mir verlangst, will ich tun. Nur komm und verwünsch mir dieses Volk! 18 Bileam antwortete den Dienern Balaks: Auch wenn mir Balak sein Haus voll Silber und Gold gäbe, könnte ich dem Befehl des Herrn, meines Gottes, nicht zuwiderhandeln, sei es in einer unwichtigen oder einer wichtigen Sache. 19 Doch bleibt auch ihr jetzt über Nacht hier, bis ich weiß, was der Herr weiter zu mir sagt. 20 In der Nacht kam Gott zu Bileam und sprach zu ihm: Wenn die Männer gekommen sind, um dich zu holen, dann mach dich auf den Weg und geh mit! Aber du darfst nur das tun, was ich dir sage. 21 Am Morgen stand Bileam auf, sattelte seinen Esel und ging mit den Hofleuten aus Moab. 22 Aber Gott wurde zornig, weil Bileam mitging, und der Engel des Herrn trat Bileam in feindlicher Absicht in den Weg, als Bileam, begleitet von zwei jungen Männern, auf seinem Esel dahinritt. 23 Der Esel sah den Engel des Herrn auf dem Weg stehen, mit dem gezückten Schwert in der Hand, und er verließ den Weg und wich ins Feld aus. Da schlug ihn Bileam, um ihn auf den Weg zurückzubringen.2 24 Darauf stellte sich der Engel des Herrn auf den engen Weg zwischen den Weinbergen, der zu beiden Seiten Mauern hatte. 25 Als der Esel den Engel des Herrn sah, drückte er sich an der Mauer entlang und drückte dabei das Bein Bileams gegen die Mauer. Da schlug ihn Bileam wieder. 26 Der Engel des Herrn ging weiter und stellte sich an eine besonders enge Stelle, wo es weder rechts noch links eine Möglichkeit gab auszuweichen. 27 Als der Esel den Engel des Herrn sah, ging er unter Bileam in die Knie. Bileam aber wurde wütend und schlug den Esel mit dem Stock. 28 Da öffnete der Herr dem Esel den Mund und der Esel sagte zu Bileam: Was habe ich dir getan, dass du mich jetzt schon zum dritten Mal schlägst? 29 Bileam erwiderte dem Esel: Weil du mich zum Narren hältst. Hätte ich ein Schwert dabei, dann hätte ich dich schon umgebracht. 30 Der Esel antwortete Bileam: Bin ich nicht dein Esel, auf dem du seit eh und je bis heute geritten bist? War es etwa je meine Gewohnheit, mich so gegen dich zu benehmen? Da musste Bileam zugeben: Nein. 31 Nun öffnete der Herr dem Bileam die Augen und er sah den Engel des Herrn auf dem Weg stehen, mit dem gezückten Schwert in der Hand. Da verneigte sich Bileam und warf sich auf sein Gesicht nieder. 32 Der Engel des Herrn sagte zu ihm: Warum hast du deinen Esel dreimal geschlagen? Ich bin dir feindlich in den Weg getreten, weil mir der Weg, den du gehst, zu abschüssig ist.3 33 Der Esel hat mich gesehen und ist mir schon dreimal ausgewichen. Wäre er mir nicht ausgewichen, dann hätte ich dich vielleicht jetzt schon umgebracht, ihn aber am Leben gelassen. 34 Bileam antwortete dem Engel des Herrn: Ich habe gesündigt, aber nur, weil ich nicht wusste, dass du mir im Weg standest. Jetzt aber will ich umkehren, wenn dir mein Vorhaben nicht recht ist. 35 Der Engel des Herrn antwortete Bileam: Geh mit den Männern, aber rede nichts, außer was ich dir sage. Da ging Bileam mit den Hofleuten Balaks. 36 Als Balak hörte, dass Bileam kam, ging er ihm entgegen bis zur Grenzstadt Moabs am Arnon, unmittelbar an der Grenze. 37 Balak sagte zu Bileam: Ich hatte dich rufen lassen. Warum bist du nicht zu mir gekommen? Kann ich dir nicht einen hohen Lohn geben? 38 Bileam antwortete Balak: Jetzt bin ich zwar bei dir. Aber kann ich jetzt etwas reden? Ich kann nur sagen, was Gott mir in den Mund legt. 39 Bileam ging mit Balak weiter nach Kirjat-Huzot. 40 Balak schlachtete Rinder und Schafe und ließ damit Bileam und die Hofleute, die dabei waren, bewirten. 41 Am nächsten Morgen nahm Balak Bileam mit sich und führte ihn zu den Baalshöhen hinauf. Von dort konnte er bis zum Volk sehen.4 Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Aus: Miguel de Cervantes Saavedra, Gespräch zwischen Cipión und Berganza, Hunden des Auferstehungshospitals, Zürich 1989, S. 28 ff.  

«Wenn Ihr Euch keine weitere Mühe gebt, mich zu bereden», versetzte der Lizentiat, «daß Ihr die Hunde habt reden hören, so werde ich dieses Ge­spräch sehr gern anhören; denn da es von dem trefflichen Geiste des Herrn Fähnrichs geschrieben und aufgezeichnet ist, halte ich es schon im voraus für geistreich.» «Noch etwas anderes ist bei der Sache zu beob­achten», sagte der Fähnrich. «Da ich so aufmerk­sam war und eine feine Fassungskraft und ein zar­tes und unbeschäftigtes Gedächtnis hatte, dank der vielen Weintrauben und Mandeln, die ich gegessen hatte, nahm ich alles gut auf und schrieb es am andern Tage fast mit denselben Worten, die ich gehört hatte, nieder, ohne rhetorische Floskeln zu suchen, um es auszuschmücken, und ohne etwas wegzulassen oder hinzuzufügen, um es schmack­hafter zu machen. Das Gespräch dauerte übrigens nicht bloß eine Nacht, sondern zwei Nächte hin­tereinander, obgleich ich nur das der einen nieder­geschrieben habe, welches das Leben Berganzas enthält. Das seines Gefährten Cipión, welches in der zweiten Nacht erzählt wurde, gedenke ich noch zu beschreiben, wenn ich sehen werde, daß man dieses glaubt oder wenigstens nicht verach-   28   tet. Ich habe das Gespräch in der Tasche. Ich habe es in Form eines Dialogs abgefaßt, um das: zu vermeiden, was nur unnötiges Geschreibe veranlaßt hätte.» Bei diesen Worten zog er ein Heft aus der Brust und gab es dem Lizentiaten in die Hand, der es lächelnd nahm, als ob er sich über alles lustig ma­che, was er gehört hatte und noch zu lesen ge­dachte. «Ich ruhe indessen auf diesem Stuhle aus», sagte der Fähnrich, «während Ihr, wenn Ihr wollt, diese Träumereien und Ungereimtheiten lest, die we­nigstens den Vorzug haben, daß man sie weglegen kann, sobald sie langweilen.» «Tut, was Euch gefällt», sagte Peralta, «denn mein Lesen wird nicht lange dauern.» Der Fähnrich schmiegte sich in den Sessel, und der Lizentiat schlug das Heft auf und fand folgen­den Titel:   GESPRÄCH ZWISCHEN CIPIÓN UND BERGANZA, HUNDEN DES AUFERSTEHUNGSHOSPITALS  

Cipión: Freund Berganza, lassen wir heute nacht das Hospital unter der Obhut der Vorse­hung und ziehen uns zurück in diese Einsamkeit und zwischen diese Schilfmatten, wo wir, ohne gehört zu werden, uns die unerhörte Gnade zunut­ze machen können, welche der Himmel uns bei­den zugleich verliehen hat.   berganza Bruder Cipión, ich höre dich spre­chen und weiß, daß ich mit dir spreche, und kann es doch nicht glauben, denn es kommt mir vor, wenn wir sprechen, überschreiten wir die Grenz­marken der Natur.

Cipión: Das ist wahr, Berganza, und das Wun­der wird dadurch noch größer, daß wir nicht nur sprechen, sondern einander Rede und Antwort stehen, wie wenn wir vernünftige Wesen wären, da wir doch keine Vernunft besitzen; denn das ist ja gerade der Unterschied zwischen dem Tier und dem Menschen, daß der Mensch ein vernünftiges Wesen und das Tier ein unvernünftiges ist.  

Berganza: Alles, was du sprichst, Cipión, ver­stehe ich. Und daß du es sagst und daß ich es verstehe, erregt in mir immer neue Bewunderung und neues Staunen; indessen ist es doch wahr, daß ich im Verlauf meines Lebens oft und verschie­dentlich gehört habe, daß wir große Vorrechte genießen. Dies ging so weit, daß es scheint, es wollen einige bemerkt haben, daß wir einen na­türlichen Instinkt besitzen, der in vielen Dingen so lebendig und so scharf sich äußere, daß dar­aus auf das Bestimmteste und Klarste hervorgehe, es fehle nicht viel, so könne man von uns be­weisen, wir hätten ein gewisses Etwas, das wie Verstand aussehe und fähig sei, Vernunftschlüsse zu ziehen.  

Cipión: Was ich an uns habe loben und be­sonders hoch anschlagen hören, ist unser gutes  

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Gedächtnis, unsere Dankbarkeit und unverbrüch­liche Treue, so daß man uns als Symbol der Freund­schaft zu malen pflegt. Auch wirst du schon gese­hen haben, wenn du je darauf geachtet hast, daß auf Grabsteinen aus Alabaster, auf denen gewöhn­lich die Bilder der Beerdigten zu sehen sind, Ehe­leuten zu Füßen ein Hund eingemeißelt wird, zum Zeichen, daß sie im Leben einander unverletzliche Freundschaft und Treue bewiesen haben.  

Berganza: Ich weiß wohl, daß es Hunde gege­ben hat, welche so dankbar gewesen sind, daß sie sich zu den Leichen ihrer Herren ins Grab gestürzt haben; andere haben sich auf die Gräber ihrer Her­ren gelegt, ohne sich davon zu entfernen und ohne Nahrung zu sich zu nehmen, bis sie selbst das Leben darüber verloren haben. Auch weiß ich, daß nächst dem Elefanten der Hund am meisten den Anschein erweckt, als ob er Verstand besäße; hier­auf kommt gleich das Pferd und zuletzt der Affe.  

Cipón: So ist es. Du wirst aber wohl zugeben, daß du nie gesehen oder gehört hast, daß irgendein Elefant, Hund, Pferd oder Affe gesprochen hätte. Und hieraus ersehe ich, daß unser so unerwartet eingetretenes Sprachvermögen zur Zahl jener Dinge gehört, die man Wunderzeichen nennt, und welche, wenn sie sich zeigen und erscheinen, wie es die Erfahrung bestätigt hat, dem Menschen­geschlecht mit irgendeinem großen Unglück drohen.  

Berganza: Sonach werde ich ohne Umstände

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auch das für ein Zeichen böser Vorbedeutung neh­men, was ich früher einmal von einem Studenten hörte, wie ich durch Alcalá de Henares ging.  

Cipión: Was hast du von ihm gehört?  

Berganza: Daß von fünftausend Studenten, die dasselbe Jahr die Universität besuchten, zwei­tausend der Arzneikunde sich beflissen.  

Cipión: Nun, was folgerst du daraus?  

Berganza: Ich folgere, daß diese zweitausend Ärzte entweder Kranke zu behandeln haben, und das wäre ein großes Unglück und Mißgeschick, oder daß sie selbst Hungers sterben müssen.  

Cipión: Doch dem sei, wie ihm wolle! Wir sprechen, sei es nun von böser Vorbedeutung oder nicht; denn was der Himmel bestimmt hat, daß es sich ereignen solle, das kann keine menschliche Vorsicht oder Klugheit abwenden. Wir brauchen darum auch nicht weiter miteinander darüber zu streiten, wie oder warum wir sprechen. Besser ist's, wir machen Gebrauch von diesem guten Tage oder dieser guten Nacht; und da wir uns auf diesen Matten so wohl befinden und nicht wis­sen, wie lange dieses unser Glück dauern wird, so wollen wir es doch wenigstens zu nutzen wissen und diese ganze Nacht plaudern, ohne uns dieses Vergnügen, nach welchem ich mich schon so lange gesehnt habe, durch den Schlaf stören zu lassen.   berganza Und ich gleichfalls; denn seit ich die Kraft habe, einen Knochen abzunagen, hatte  

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ich Lust zu sprechen, um Dinge zu sagen, die ich in meinem Gedächtnisse niedergelegt hatte und die aus Alter oder wegen ihrer Menge verrosteten oder mir entfielen. Jetzt aber, da ich ohne daran zu denken mich mit dem göttlichen Geschenke der Sprache begabt sehe, gedenke ich, mich desselben zu erfreuen und es zu benutzen, so gut ich kann, indem ich mich beeile, alles zu sagen, was mir in den Kopf kommt, wäre es auch etwas bunt und wirr durcheinander; denn ich weiß nicht, wann man mir dieses Gut wieder abfordern wird, das mir nur geliehen ist.  

Cipión: Ich will dir sagen, Freund Berganza, wie wir es anfangen. Heute nacht erzählst du mir dein Leben und was du alles durchgemacht hast, bis du die Stufe erreicht hast, auf welcher du dich jetzt befindest; und wenn wir morgen nacht noch sprechen können, so will ich dir das meinige erzählen; denn es ist besser, man wen­det seine Zeit dazu an, sein eigenes Leben zu erzäh­len, als zu dem Bestreben, ein fremdes kennenzu­lernen.  

Berganza: Immer, Cipión, habe ich dich für einen klugen und freundlich gesinnten Gesellen gehalten, jetzt aber mehr als je, weil du als ein treuer Freund mir deine Schicksale erzählen und die meinigen hören willst und mit klugem Sinn die Zeit, in der wir dies ausführen können, verteilt hast. Aber sieh doch vorher nach, ob uns niemand hört!  

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Cipión: Niemand, wie ich glaube; freilich ist hier ein Soldat, der Schwitzbäder nimmt; allein zu dieser Stunde wird er eher schlafen, als irgend jemandem zuhören wollen.  

Berganza: Gut; wenn ich mit dieser Sicherheit sprechen kann, so höre zu! Sobald dir aber meine Erzählung Langeweile bereitet, so tadle mich oder gebiete mir Schweigen!  

Cipión: Rede bis der Tag kommt, oder bis uns jemand sprechen hört! Ich will dir jetzt gern zuhö­ren, ohne dich zu unterbrechen, außer wenn es mir nötig scheint.  

Berganza: Ich glaube, das erstemal, als ich die Sonne erblickte, war es in Sevilla, und zwar im Schlachthaus, welches vor dem Fleischtor steht. Daher könnte ich mir einbilden, wenn nicht das wäre, was ich nachher sagen werde, daß meine Eltern Hetzhunde gewesen sind, und zwar von der Rasse, welche von jenen schmutzigen Leuten auf­gezogen werden, die man Metzgerknechte nennt. Der erste, den ich als meinen Herrn erkannte, hieß Nicolás die Stumpfnase, ein rüstiger, untersetzter und jährzorniger Bursche, wie es alle diejenigen sind, welche das Fleischerhandwerk treiben. Die­ser Nicolás lehrte mich und noch andere junge Hunde, wie wir in Gesellschaft alter Bullenbeißer die Stiere anfallen und bei den Ohren fassen soll­ten, und bald wurde ich ein wahrer Adler, mit solcher Leichtigkeit lernte ich dies ausführen.  

Cipión: Darüber wundere ich mich nicht, Berganza, denn weil das Böse von selbst keimt, lernt man es auch leicht ausüben.    

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Berganza: Was soll ich dir aber nun, Bruder Cipión, von dem sagen, was ich in jenem Schlachthaus sah, und von den erschrecklichen Dingen, welche dort vorgehen? Zuerst mußt du annehmen, daß alle, welche dort arbeiten, vom Kleinsten bis zum Größten gefühllose Leute von weitem Gewissen sind und weder den König noch seine Obrigkeit furchten. Die meisten haben Buhldirnen und sind fleischfressende Raubvögel, welche sich und ihre Freundinnen von ihrem Diebstahl ernähren. An jedem Fleischtag findet sich, noch ehe es Tag wird, im Schlachthaus eine große Menge von Mädchen und Burschen ein, welche alle leere Säcke mitbringen, dieselben aber gefüllt mit Fleischstücken wieder mitnehmen; die Mägde bekommen die Hoden und oft halbe Len­den. Es wird kein Stück Vieh geschlachtet, wovon diese Leute nicht ihren Zehnten und ihre Erstlinge von dem Schmackhaftesten und Besten wegtrü­gen. Und da in Sevilla keine Fleischsteuer entrich­tet wird, so kann ein jeder hinbringen, was er will; und was zuerst geschlachtet wird, ist entweder das Beste oder das Wohlfeilste, daher ist auch immer großer Überfluß vorhanden. Die Eigentümer ge­ben diesem saubern Gesindel, von dem ich erzählt habe, gute Worte, nicht etwa, daß sie das Steh­len ganz unterlassen sollen, denn das ist unmög­lich, sondern damit sie sich etwas mäßigen im Beschnitzeln und Zerfetzen des geschlachteten Viehs, denn sie beschneiden es und putzen es aus, als wenn es Weiden oder Weinstöcke wären.  

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Aber nichts hat mich mehr Wunder genommen und mir mehr mißfallen, als wenn ich sah, daß diese Flei­scher ebenso kaltblütig einen Menschen wie eine Kuh abstechen. Meiner Treu, sie stoßen einem mir nichts dir nichts das Schlachtermesser in den Leib, als ob sie einen Stier abschlachteten. Es ist ein- Wunder, wenn es einen Tag ohne Händel und Blutvergießen abgeht, und zuweilen fällt auch Mord und Totschlag vor. Alle halten sich auf ihre Tapferkeit etwas zugute und verstehen sich auf Kuppelei. Es gibt keinen unter ihnen, der nicht seinen Schutzengel auf dem Platz San Francisco durch Lendenbraten und Ochsenzungen gewon­nen hätte. Kurz, ich hörte einen verständigen Mann sagen, der König habe noch drei Dinge in Sevilla zu erobern: die Jagdstraße, die Costanilla und das Schlachthaus.  

Cipión: Wenn du bei der Charakterschilde­rung deiner Herren und dich bei dem Bericht über die Schattenseiten ihrer Berufe immer so lang auf­hältst, so werden wir den Himmel bitten müssen, uns die Redefähigkeit wenigstens auf ein Jahr zu verleihen; ja, ich fürchte, du wirst bei dem Schritt, den du anschlägst, nicht zur Hälfte mit deiner Geschichte fertig werden. Ich will dich auf einen Punkt aufmerksam machen, der dir dann klar wer­den wird, wenn ich dir die Begebenheiten meines Lebens erzähle.  

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Es gibt nämlich Erzählungen, die ihre Anmut in sich selbst haben und einschließen, bei andern besteht sie in der Art der Darstellung, das heißt es gibt manche, die Vergnügen machen, wenn sie auch ohne lange Einleitung und ohne Wortschmuck vorgetragen werden, andere dage­gen muß man mit Worten, mit dem Mienenspiel des Gesichts, der Bewegung der Hände, der Ver­änderung der Stimme bekleiden, woraus dann aus nichts etwas entsteht, aus einem Faden kraftlosen Stoffes etwas Anmutiges und Geschmackvolles! Vergiß nicht diesen Wink, um ihn dir für den Rest deiner Erzählung zunutze zu machen.  

Berganza: Ich will womöglich diese Regel be­folgen, vorausgesetzt, daß das große Vergnügen, welches ich am Sprechen finde, mich nicht in Ver­suchung führt. Ich glaube aber, es wird mir sehr schwerfallen, mich in gehörigen Schranken zu halten.  

Cipión: Halte deine Zunge im Zaum, denn sie ist die Anstifterin des größten Unglücks im menschlichen Leben.  

Berganza: Nun, mein Herr lehrte mich, einen Korb im Munde zu tragen und ihn gegen jeder­mann zu verteidigen, der ihn mir nehmen wollte. Zugleich zeigte er mir das Haus seiner Geliebten, wodurch es überflüssig wurde, daß ihr Dienst­mädchen zum Schlachthaus kam, denn ich brachte ihr mit Tagesanbruch alles, was er die Nacht über gestohlen hatte. Eines Tags, als ich gerade in der Morgendämmerung mit großer Vorsicht ihren Anteil trug, hörte ich aus einem Fenster meinen Namen rufen.  

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Ich blickte empor und sah ein Mäd­chen, das außerordentlich schön war. Ich blieb ein wenig stehen, und sie kam an die Haustüre herun­ter und rief mich wieder beim Namen. Ich trat auf sie zu, um zu sehen, was sie von mir begehre. Dies war nun nichts anderes, als daß sie mir das Fleisch, das ich im Korbe hatte, nahm und statt dessen einen alten Pantoffel hineinsteckte, worüber ich bei mir selbst dachte: «Das Fleisch ist eben zum Fleische gegangen.» Das Mädchen aber sagte zu mir, nachdem sie mir das Fleisch genommen hatte: «Geht, Gavilan, oder wie Ihr heißen mögt, und sagt Nicolás, der Stumpfnase, Eurem Herrn, er solle sich nicht auf Tiere verlassen. Übrigens vom Wolfe das Fell und dies aus dem Korbe!» Ich hätte es ihr freilich wieder abnehmen kön­nen, was sie mir genommen hatte, aber ich mochte nicht, um nicht mit meiner schmutzigen Fleischer­schnauze ihre reinen weißen Hände zu berühren.  

Cipión: Daran tatest du sehr wohl, denn es ist ein Vorrecht der Schönheit, daß man sie immer achten muß.      
Berganza: Das tat ich auch und kehrte deshalb ohne das Fleisch und mit dem Pantoffel zu meinem Herrn zurück. Diesem schien es, ich komme sehr bald zurück. Er erblickte den Überschuh, stellte sich sogleich den Possen vor, den man ihm gespielt hatte, zog ein Messer und führte einen Stich nach mir, daß du, wenn ich nicht auf die Seite gesprun­gen wäre, weder diese Geschichte hören würdest noch viele andere, die ich dir noch zu erzählen gedenke.  

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Ich ergriff die Flucht, nahm den Weg unter die Füße und unter die Hände, eilte hinter San Bernardo ins freie Feld und ging nun, wohin das Schicksal mich führen wollte. Ich schlief sel­bige Nacht unter freiem Himmel, den andern Tag aber führte mir das Schicksal eine Herde Schafe und Hammel entgegen. Sowie ich sie erblickte, glaube ich hierin den Mittelpunkt der Ruhe ge­funden zu haben, denn ich hielt es für ein den Hunden eigentümliches angeborenes Geschäft, Herden zu bewachen, indem es eine Obliegenheit ist, die eine große Tugend in sich enthält, die Demütigen und Ohnmächtigen gegen Gewaltige und Übermütige zu schützen und zu verteidigen. Kaum hatte mich einer von den drei Hirten, wel­che bei der Herde waren, erblickt, als er mich zu sich rief. Und da ich das eben wünschte, näherte ich mich ihm mit gesenktem Haupt und wedelndem Schwanz. Er streichelte mir den Rücken, öffnete mir den Rachen, spuckte hinein, nahm die Spitz­zähne in Augenschein, sah wie alt ich war, und sagte zu dem andern Hirten, ich hätte alle Merk­male eines Hunds von guter Art an mir.     Neuer Absatz

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